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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Verehrer des Dichterfürsten war, ruft uns die Grundprinzipien und Lebensanschauungen des lieben Verstorbenen ins Gedächtnis und nimmt mit bleichem Gesicht wieder unter den Seinen Platz. Dann verlässt der Sarg die Kirche. Der Trauerzug setzt sich Richtung Krematorium in Bewegung. Bei diesem letzten Adieu, das im engsten Familienkreis stattfindet, bin ich nicht dabei. Später soll die Asche meines Freundes dem Meer anvertraut werden … diesem Meer, das er mit solcher Leidenschaft liebte, das seine Erlösung war und seine innere Welt.
    Ich habe mich bei Claudia für ihre Gastfreundschaft bedankt und sie gebeten, mich endlich nach Hause zu bringen. Die Journalisten haben längst eingesehen, dass ich nichts von ihnen wissen will, und sind in ihre Redaktionen zurückgekehrt. Claudia bietet mir an, doch so lange zu bleiben, bis ich wieder bei Kräften bin. Wo sie Kräfte sagt, verstehe ich Lebensgeister, die in meinem Fall wohl erst geweckt werden müssen. Ich frage Claudia, ob ich mich sehr verändert habe und wirklich so erbärmlich aussehe. Sie stammelt ein paar Entschuldigungen, fängt sich dann wieder und erklärt mir, dass ich doch Menschen um mich brauche und Abstand gewinnen müsse von den Ereignissen . Hat sie nicht extra Urlaub genommen, um sich um mich zu kümmern? Gewiss, sie ist rührend, erstickt mich fast mit ihrer Fürsorge, aber trotzdem ist es Zeit für mich zu gehen. Bislang habe ich mich davor gescheut, das Haus zu verlassen, hatte Angst, von wildfremden Leuten erkannt zu werden. Ich bin von Natur aus eher diskret, plötzlich Gegenstand öffentlicher Neugier zu sein, ist eine schreckliche Vorstellung. Aber mich permanent in Claudias Wohnung zu verkriechen, zerrt auch an meinen Nerven. Eine Woche Versteckspiel hat mich zermürbt, und die Alpträume, die mir den Schlaf in Gerimas Kerkern verdorben haben, spuken neuerdings wieder durch meine Nächte.
    Ich habe mir einen Bart stehen lassen, um nicht erkannt zu werden, und denke, jetzt bin ich so weit, es im Schutz einer Sonnenbrille mit den Gaffern dieser Welt aufzunehmen.
    Ich bestehe darauf, dass sie mich nach Hause fährt.
    Gegen 15 Uhr kommen wir vor meiner Villa an. Bis auf einen Installateur, der gerade sein Werkzeug in einem Lieferwagen verstaut, ist die Straße zum Glück menschenleer. Aber ich traue mich nicht aus dem Auto. Erst konnte es mir nicht schnell genug gehen, in mein bekanntes Universum zurückzukehren, und jetzt, endlich vor meinem Haus, bin ich verwirrt. Eine ­eisige Faust greift nach meinem Herzen. Ich muss heftig schlucken. Es fühlt sich an, als kugelte ich mir den Kehlkopf aus. Claudia merkt, dass ich in Panik gerate, und fasst mitfühlend nach meinem Handgelenk. Wie dumm von ihr. Ich zucke derart heftig zusammen, dass ich im selben Atemzug die Wagentür öffne und aussteige. Doch weiter traue ich mich nicht. Da stehe ich nun auf dem Bürgersteig und blicke auf das schöne weiße Haus, das ich einmal eigenhändig erbaut habe, um es zum Tempel ewiger Liebe und Lebenslust zu machen. Claudia sieht ein, dass ich ohne Geleitschutz keinen Schritt tun werde. Sie umrundet den Wagen und geht voran, ich treibe in ihrem Kielwasser hinterher. Sie nimmt mir den Schlüsselbund ab. Mein Rücken erstarrt unter einer Frostschicht. Mein Herzschlag hämmert laut in meinen Ohren. Ich atme tief ein, bevor ich die Diele betrete. Claudia läuft vor, zieht schnell die Rollläden hoch und öffnet die Fenster. Blendendes Sonnenlicht ergießt sich ins Wohnzimmer. Die Putzfrau hat den Staub aus dem letzten Winkel gekitzelt. Die Blumen in der Vase sind eine wahre Pracht. Es ist alles da, meine vertrauten Möbel, die Spuren meiner Gewohnheiten, doch gegen das Vakuum, das Jessica hinterlassen hat, ist nichts zu machen.
    Claudia hält sich eine Viertelstunde lang diskret im Hintergrund, während ich unschlüssig dastehe, starr und reglos, geradezu benommen.
    Â»Soll ich dir einen Kaffee machen?«
    Â»Nein«, antworte ich fiebrig.
    Â»Ich habe heute Nachmittag weiter nichts vor.«
    Â»Danke, aber ich glaube, ich muss jetzt allein sein.«
    Â»Wollen wir vielleicht zusammen zu Abend essen?«
    Â»Wenn du willst.«
    Â»Gut, dann hole ich dich so gegen 19 Uhr ab.«
    Â»Einverstanden.«
    Und schon ist sie weg. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    Nachdem sie gegangen ist, lasse ich mich aufs Sofa fallen und vertiefe mich in die

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