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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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beherrschen.
    Â»Hab ich was Dummes gesagt?«, fragt der Boss.
    Â»Wollen Sie mich glauben machen, Sie würden weder Reue noch Bedauern kennen?«, empört sich Hans.
    Der Boss lacht lautlos und betrachtet Hans, als sähe er ihn zum ersten Mal. Nach kurzem Schweigen breitet er theatralisch die Arme aus und sagt:
    Â»Reue ist eine Sache des Gewissens. Bedauern eine Sache der Seele. Und ich habe weder das eine noch das andere.«
    Angeekelt verzichtet Hans auf jede Widerrede.
    Â»Was haben Sie mit uns vor?«, erkundige ich mich.
    Der Boss kneift den Mund zusammen, während er über meine Frage nachdenkt.
    Â»Ich will ehrlich zu euch sein. Für mich ist euer Leben nicht mehr wert als euer Tod. Ob ihr heil und gesund wieder nach Hause kommt oder mit einer Kugel im Kopf in irgendeinem Graben landet, habt ihr selbst in der Hand. Von jetzt an seid ihr meine Gefangenen. Was ihr besitzt, gehört mir, mit Ausnahme eurer Familienfotos. Ihr könnt auch schon eurem Boot Lebewohl sagen. Es wird meine Kriegsbeute bereichern.«
    Â»Das ist mein Boot!«, protestiert Hans. »Ich bin gegen nie­man­den im Krieg. Ich bin auf der Durchfahrt. Sie haben kein Recht …«
    Â»Diese Region ist ein rechtloser Raum, Mister Mackenroth«, fällt ihm der Boss ins Wort. »Hier herrscht nur ein Gesetz: das Gesetz der Waffen. Und die Waffen sind auf meiner Seite.«
    Â»Was machen Sie denn mit meinem Segelboot? Es verkaufen? Es ausschlachten?«
    Â»Die wahre Frage ist: Was machen wir mit euch? Verstehe ich es richtig, dass das Schicksal eures Kahns euch mehr interessiert als euer eigenes Geschick? Ihr seid meine Geiseln, meine Tombola-Lose. Weder die Genfer Konvention noch die UNO-Resolutionen werden mich davon abhalten, euch zu behandeln, wie es mir gefällt. Von jetzt an bin ich euer Gott. Euer Schicksal hängt aufs Engste von meiner Stimmung ab, und wehe, ihr haltet mich zum Narren.«
    Daraufhin drängt man uns, in unsere Kleider zu schlüpfen, fesselt uns an den Handgelenken und schließt uns in dem Kabuff hinten im Schiffsbauch ein, in dem Tao gewohnt hat. Der Junge mit der Brille ohne Gläser auf der Nase postiert sich in der Tür. Er lehnt sich mit einer Schulter gegen den Rahmen, legt den Hals schief und beobachtet uns mit einem merkwürdig debilen Gesichtsausdruck. Mir läuft es kalt über den Rücken.
    Â»Wie geht es dir?«, fragt Hans besorgt.
    Â»Geht so. Und dir?«
    Â»Na ja, wird schon gehen … Wenn ich daran denke, dass sie Tao einfach so über Bord geworfen haben.«
    Â»Glaubst du, er hat eine Chance?«
    Â»Er kann nicht schwimmen.«
    Â»Wir sind ihnen ohnehin völlig ausgeliefert. Das hätten sie wirklich nicht tun müssen.«
    Â»Es ist ihre Art, die Dinge in die Hand zu nehmen. Hier herrscht eine andere Mentalität. Ein Menschenleben ist in ihren Augen nicht mehr wert als das Leben einer Mücke. Diese Leute sind zwar unsere Zeitgenossen, aber sie entstammen einer anderen Epoche.«
    Unser Aufpasser fährt sich unablässig mit einer graubelegten Zunge über die Lippen. Sein regloser Blick verstärkt mein Unbehagen.
    Â»Woher sind sie nur gekommen?«
    Hans zuckt mit den Achseln: »Weiß nicht … Ich habe ein Motorengeräusch gehört, das näher kam. Erst dachte ich, es sei die Küstenwache, aber die dürfen gar nicht in internationalen Gewässern operieren. Dann kam Tao und gab mir Bescheid, dass eine Feluke auf uns zuhielt. Im Bruchteil einer Sekunde hatten diese Besessenen uns auch schon gekapert. Ich konnte nichts tun.«
    Â»Und was sind das für Leute?«
    Â»Keine Ahnung. Die Gegend hier ist von Plünderern verseucht: Rebellen, Söldner, Piraten, Terroristen, Schmuggler, Waffenhändler. Ich hätte niemals geglaubt, dass sie imstande wären, sich dermaßen weit von ihren Stützpunkten zu entfernen. Ich bin diese Strecke schon zweimal gefahren, das letzte Mal vor knapp sechs Monaten, und bin nie behelligt worden …«
    Er hält inne, um Luft zu holen, dann fährt er mit bedrückter Stimme fort:
    Â»Es tut mir so leid, Kurt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich bedauere, dich nach allem, was du durchgemacht hast, in diese Geschichte mit hineingezogen zu haben.«
    Â»Dafür kannst du doch nichts, Hans. Das liegt in der Natur der Sache: Ein Unglück kommt selten allein.«
    Â»Es tut mir aufrichtig leid.«
    Â»Pssssst!«, zischt der

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