Die Landkarte der Finsternis
Kehle. Ich muss mich zwingen, nicht die Augen zu schlieÃen, erwarte, dass jeden Moment ein Schuss losgeht. Panische Angst packt mich; ich balle die Fäuste, um ihrer Herr zu werden.
»Bist du der Steuermann?«, fragt er mich auf Englisch.
»Der Steuermann bin ich«, mischt Hans sich ein. »Was wollen Sie von uns?«
Der Boss lässt grinsend einen Goldzahn aufblitzen und antwortet, ohne mich aus den Augen zu lassen:
»Diese verdammten WeiÃen! Brauchen für alles eine Erklärung.«
Er nähert sich Hans, mustert ihn:
»Ist das dein eigener Kahn oder hast du ihn gemietet?«
»Das Boot gehört mir.«
» Great!! ⦠Franzosen, Amerikaner, Briten?«
»Deutsche â¦Â«
»Seid ihr Geschäftsleute oder Schmuggler?«
»Bestimmt Spione«, bemerkt der Koloss mit den Amuletten.
»Nichts von alledem«, widerspricht Hans. »Mein Freund ist Arzt. Und ich bin in Sachen humanitäre Hilfe unterwegs. Ich bin dabei, ein Krankenhaus auf den Komoren mit Material auszustatten â¦Â«
»Wie rührend«, spottet der Boss und bewegt sich auf Tao zu. »Und das Eigelb hier?«
»Er ist Philippino.«
»Vermutlich das Dienstmädchen. Putzt, kocht, wischt euch den Hintern und wacht über euer Wohlergehen ⦠Was bringt so ein philippinischer Koch auf dem freien Markt, Joma?«
»Den müssen wir verscherbeln, wenn wir keinen Interessenten finden«, sagt der Koloss.
»Alles in allem eine schlechte Investition«, folgert der Boss und umrundet Tao.
Tao zuckt mit keiner Wimper. Er steht aufrecht, mit verschlossenem Gesicht, lässt keine Gefühlsregung erkennen.
»Sorry«, erklärt ihm der Boss, »ich werde auf deine Dienste wohl verzichten müssen. Ich hoffe, du kannst wenigstens schwimmen.«
Und schon nimmt der Koloss mit den Amuletten Tao in den Schwitzkasten. Hans versucht, dazwischenzugehen. Ein Hieb mit dem Gewehrkolben streckt ihn nieder. Tao wehrt sich nicht. Er scheint nicht zu verstehen, was mit ihm geschieht. Sein schmächtiger Körper ist in den Fleischmassen des schwarzen Riesen verschwunden. Die plötzliche Wendung der Dinge überfordert mich. Versteinert, wie betäubt sehe ich zu, wie der Koloss Tao auf die Brücke schleppt. Nicht ein Muskel gehorcht mir mehr.
»Kurt, lass nicht zu, dass sie das tun!«, schreit Hans, der am Boden liegt.
Seine Schreie bringen mich wieder zu mir. Ich stürze zur Treppe, fege den Jungen mit dem Säbel beiseite. Etwas blitzt in mir auf ⦠dann, ein schwarzes Loch.
Man besprengt mich mit Wasser. Ich tauche aus einem Nebel auf. Auf meinem Unterhemd, meiner Unterhose und meinem Oberschenkel ist Blut. Ich fasse mit den Fingern an meine schmerzende Schläfe; das Blut stammt von mir.
Der Koloss mit den Amuletten stellt einen Eimer auf den Holzdielen ab und stöÃt mir seinen Stiefel in die Seite:
»Wir sind hier nicht im Hotel.«
Der Boss kauert sich vor mich hin. Er ist ebenfalls um die dreiÃig, ziemlich gutaussehend, mit feinen Zügen und einer geraden Nase. Er trägt seine Drillichuniform wie ein Banker seinen Anzug, mit einer Haltung, der etwas Verführerisches, aber auch etwas Einschüchterndes eignet. Sein affektiertes Gehabe verrät den Spross der ortsansässigen Bourgeoisie, den künftigen Dorfvorsteher oder Bürgermeister, der auf Abwege geraten ist.
Mit unseren Pässen in der Hand wartet er, bis ich wieder zu mir komme, dann sagt er:
»Entschuldige unsere Methoden, Doc. Bei uns geht es noch altertümlich zu. Man improvisiert mit dem, was man hat.«
Ich suche Hans. Er kauert hinter mir, ein Häufchen Elend in einer Ecke der Steuerkabine. Sein Auge ist unter einer violetten Schwellung verschwunden.
»Dann erkläre ich euch mal, was Sache ist«, sagt der Boss in bestem Englisch. »Wir sind am Ball, aber ihr, dein Freund und du, bestimmt die Spielregeln. Wenn ihr euch gut benehmt, behandeln wir euch gut. Wenn ihr versucht, einen auf schlau zu machen, garantiere ich für nichts.«
»Warum haben Sie Tao ins Meer geworfen?«, schreit Hans auÃer sich.
»Ihr meint das Schlitzauge? Eine Frage der Logistik.«
»Verdammt, Sie haben einen Menschen ermordet!«
»Jeden Tag wird gestorben. Das ist nichts, was den Herrgott um seinen Nachtschlaf bringt.«
Hans ist schockiert, sein Gesicht bebt vor Wut, sein Atem überschlägt sich. Er beiÃt sich auf die Lippen, um sich zu
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