Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
noch im Augenblick des Einnickens ins Ohr zischeln, ob ich wohl den Mut zum Aufwachen fände, das lauernd, in Erwartung des Morgens, neben mir steht.
    Ich greife zu einer Schlaftablette.
    Wie jeden Abend.
    Eine gewaltige Lärmkaskade weckt mich auf. Die Schlaftablette hat meine Sinne narkotisiert, und ich weiß erst gar nicht, wo ich bin. Ich taste nach meiner Uhr, kann sie nicht finden, schaue auf jene, die in den Nachttisch eingelassen ist: 4 Uhr und 27 Minuten. Jemand brüllt Hans im Nebenraum an. Plötzlich splittert die Tür zu meiner Kabine, und eine Taschenlampe scheint mir brutal ins Gesicht. Bevor ich reagieren kann, wirft sich ein Schatten auf mich und drückt mir etwas Metallisches an die Schläfe. Ein zweiter Schatten drängt sich ins Zimmer, sucht nach dem Schalter und macht Licht. Die Deckenleuchte zeigt zwei tobsüchtige Schwarze. Der erste ist ein massiger Typ um die dreißig mit rasiertem Schädel und den Schultern eines Gewichthebers; ein Wilder, nackt bis zum Gürtel, mit Amuletten an den Armen und giftigem Blick, und er brüllt mich in einer mir fremden Sprache an. Der andere Eindringling ist ein schmaler Jugend­licher mit Schmissen im Gesicht und Pupillen, die so geweitet sind, als stünde er unter Drogen. Er richtet eine undefinierbare Feuerwaffe auf mich, vielleicht ein Jagdgewehr mit abgesägtem Rohr oder einen selbstgebauten Karabiner.
    Der Riese ist zu stark, als dass ich mich zur Wehr setzen könnte. Sein Arm reißt mich aus dem Bett, schleudert mich gegen die Wand. Kaum habe ich mich aufgerichtet, bekomme ich mit dem Gewehrkolben einen Hieb in den Bauch, dass ich mich krümme. Der zweite Eindringling packt mich bei den Haaren, zwingt mich in die Knie. Seine Augen kriechen über mich wie zwei Rote Feuerameisen. Gestalten wie diese habe ich im Leben noch nicht gesehen. Man könnte meinen, der Knabe warte nur auf einen Vorwand, irgendeinen, um mich zusammenzuschlagen … Der Riese wühlt in den Schubladen, dreht die Matratze um, sieht nach, was darunter ist, reißt die Bilder von den Wänden, auf der Suche nach einem Tresor. Wenn er auf etwas Interessantes stößt, wirft er es in einen verdreckten Jutebeutel. Nach und nach sackt er so meine Uhr, meine Schlaftabletten, meine Brieftasche, mein Mobiltelefon, meinen Gürtel, meine Sonnenbrille und meine Bücher ein. Anschließend dreht der Riese sich wieder zu mir um, nagelt mich mit seinem Blick fest, als hoffte er, noch irgendein Detail zu entdecken, das seiner Aufmerksam­keit entgangen war, stößt mir die Spitze seiner Kalaschnikow unters Kinn und schreit mich in seinem Jargon an. Mit gutturaler Stimme, die die Adern an seinem Hals vibrieren lässt, wiederholt er dreimal dieselbe Frage. Da er keine Antwort erhält, schlägt er auf mich ein und schiebt mich vor sich her in den Gang.
    Vier Bewaffnete halten Hans und Tao mit lautem Gebrüll in der Steuerkabine in Schach; ein fünfter versperrt die Treppe, die zur Brücke führt. Letzterer streicht sich aufreizend langsam mit der Klinge eines Säbels über die offene Handfläche, so düster und unheilvoll wie ein Scharfrichter, der sich anschickt, sein Opfer zu enthaupten. In seinen Augen liegt ein ungesunder Glanz, und beim Anblick seines starren Grinsens gefriert mir das Blut. Er wirkt schwächlich, und mit seinem knochigen Gesicht und den überlangen Armen, vor allem aber dieser grotesken Brille ohne Gläser auf der Nase, die er mit großer Nonchalance trägt, macht er den Eindruck, nicht ganz bei Verstand zu sein.
    Unsere Angreifer sind recht jung, zum Teil kaum der Pubertät entwachsen, doch sie scheinen genau zu wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Nachdem sie uns mit ihrem schäumenden Gebrüll eingeschüchtert haben, befehlen sie uns, die Hände hochzunehmen. Hans, dem gerade noch Zeit geblieben ist, sich die Hose und einen Schuh überzustreifen, versucht, die Gemüter zu besänftigen; man herrscht ihn an, zu schweigen und sich nicht zu rühren.
    Ein baumlanger Kerl mit bronzefarbenem Teint wendet sich an den Jugendlichen mit den Ameisenaugen, der mich in meiner Kabine überfallen hat:
    Â»Keine anderen Passagiere an Bord?«
    Â»Nein, Boss.«
    Der Boss dreht sich zu mir um, sein Blick bleibt an meiner Unterhose, meinen nackten Beinen kleben. Mit seinem Revolver drückt er mich an die Wand. Mein Adamsapfel kratzt wie ein Reibeisen in meiner

Weitere Kostenlose Bücher