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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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mit einem Minimum an Rücksichtnahme jedes Missverständnis aus der Welt räumen lässt. Aber Rücksichtnahme ist ein Fremdwort für diese Psychopathen, und mir ist schleierhaft, wie ich sie je zur Räson bringen soll.
    Bruno hat Nasenbluten. Ein brutaler Aufprall hat ihn gegen die Ladeklappe geschleudert und halb betäubt. Ich habe Joma zugebrüllt, besser achtzugeben, doch der brettert jetzt erst recht wie ein Irrer über die Piste, um mir zu demonstrieren, wie gleichgültig ihm unser Ergehen hinten auf der Ladefläche ist. Blackmoon, der neben ihm sitzt, sagt kein Wort. Kein einziges Mal hat er den Mund aufgemacht, seit wir den Stützpunkt verlassen haben. Er scheint nichts wahrzunehmen von dem, was er sieht, nichts zu hören von dem, was sich rings um ihn tut. Es arbeitet in ihm. Er ist tief in den Morast seiner Gedanken versunken. Wenn Blackmoon derart unnahbar ist, dann zieht er seine ganze Energie zusammen, um jäh zum Angriff überzugehen. Sein Schweigen ist ein subversiver Akt, die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Der Kontrast zwischen dem labilen Jugendlichen der ersten Wochen unserer Gefangenschaft und der Person, die da vorn im Fahrerhaus sitzt, ist gewaltig und lässt nichts Gutes ahnen.
    Gegen Mittag machen wir Rast inmitten eines wüsten Durcheinanders aus Tiergerippen und dürrem Gestrüpp. Nach dem Gitterrost der Ladefläche ist der weiche Sand die reinste Wohltat. Bruno, der sich wegen der auf dem Rücken gefesselten Hände nicht säubern kann, klebt das Blut im Bart und auf dem Hemd. Er lässt sich neben mir zu Boden fallen, während Joma von einem Hügel aus die Gegend mit seinem Feldstecher absucht. Blackmoon, der unweit des Pick-ups kauert, den Säbel in den Sand gerammt, putzt mit seinem Tuaregschal umständlich sein leeres Brillengestell.
    Joma klettert den Hang herunter und umrundet das Fahrzeug, Zeigefinger und Daumen am Kinn – er denkt nach. Als er merkt, dass wir ihn beobachten, macht er eine obszöne Geste und steigt wieder die Hügelkuppe hinauf.
    Â»Ich glaube, unser Goliath hat sich verfahren«, konstatiert Bruno.
    Â»Der Meinung bin ich auch. Wir sind doch schon einmal hier vorbeigekommen. Den Felsen da, der wie ein Krug mit zwei Henkeln aussieht, den habe ich, wenn mich nicht alles täuscht, schon mal vor über zwei Stunden gesehen.«
    Â»Genau. Da sind wir in entgegengesetzter Richtung hier entlanggekommen.«
    Joma kommt wieder den Hügel herunter, faltet auf der Motorhaube des Pick-ups eine uralte Landkarte auseinander und macht sich daran, nach Orientierungspunkten zu suchen. Nach längerem vergeblichen Bemühen haut er verärgert mit der Faust auf die Motorhaube.
    Wir fahren über Dutzende von Kilometern dieselbe Strecke zurück, bis wir zu einer gigantischen Felswand kommen, die zu einer Ebene hin abfällt, welche von schmalen Bordüren mit Buschvegetation durchzogen ist. In weiter Ferne galoppiert eine Herde Antilopen in wilder Flucht vor einem Raubtier davon. Joma bringt den Wagen am Rand der Steilwand zum Stehen, holt wieder die Landkarte hervor und hält erneut Ausschau nach Orientierungspunkten. Eine anthrazitfarbene Hügelreihe tief im Süden lässt ihm keine Ruhe. Er prüft auf der Karte die Koordinaten des Ortes, vergleicht sie mit der Hügelformation, nimmt sicherheitshalber einen Kompass zu Hilfe. Seine Züge entspannen sich, und wir begreifen, dass er sich wieder zurechtfindet.
    Im Schatten einer alleinstehenden Schirmakazie rasten wir erneut. Die Sonne rüstet sich zum Untergang. Blackmoon nimmt uns die Fesseln ab, damit wir das Dörrfleisch essen können, das er uns in Packpapier gewickelt serviert, dann lässt er sich auf halber Strecke zwischen uns und dem Fahrzeug nieder, neben dem Joma sitzt.
    Â»Wartest du auf eine Extraeinladung oder was?«, schimpft Joma. »Komm her.«
    Widerwillig steht Blackmoon auf und geht zu seinem Boss hinüber. Der reicht ihm eine Konservendose und eine metallene Wasserflasche.
    Â»Was ist denn los mit dir?«
    Blackmoon zuckt die Achseln.
    Â»Normalerweise steht dein Mundwerk doch nie still, selbst wenn du gar nichts zu erzählen hast.«
    Blackmoon setzt die Wasserflasche an und trinkt, um nicht antworten zu müssen. Joma zückt ein langes Messer, schneidet sich ein Stück vom Dörrfleisch ab und beißt hinein, ohne seinen Untergebenen aus den Augen zu lassen. Er beginnt in einer Mundart

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