Die Landkarte der Finsternis
ich das bin, der da vor ihm steht, denn auch er findet es höchst merkwürdig, dass die Kidnapper sich in den Sudan abgesetzt haben, statt in Somalia zu bleiben, um gleich dort das Lösegeld für uns zu kassieren. Bruno will wissen, ob denn an den Rathäusern in ganz Frankreich groÃe Plakate mit seinem Foto prangen? Und ob man auf den Champs-Ãlysées für seine Freilassung demonstriert hat? Christophe Pfer muss gestehen, dass kein Mensch etwas von Brunos Verschwinden weiÃ. Bruno spielt erst den Entrüsteten, dann stellt er klar, dass er eben kein gewöhnlicher Tourist, sondern ein waschechter Afrikaner sei und sein Missgeschick eine rein innerafrikanische Angelegenheit, die die westlichen Medien sowieso nichts angehe; angesichts der Ratlosigkeit, die sich auf den Zügen des Campleiters abzeichnet, schneidet er schnell ein paar ironische Grimassen, der Leiter aber kratzt sich nur hinterm Ohr und dürfte sich fragen, ob dieser Franzose noch alle Tassen im Schrank hat, da Humor unter solchen Umständen wohl eher unangebracht ist. Gleichwohl verspricht er uns, unsere jeweiligen Botschaften zu kontaktieren, sobald die Funkverbindung wieder steht, und gibt uns den Rat, uns nach einem heiÃen Vollbad und einer warmen Mahlzeit gleich schlafen zu legen. Bruno bittet um Erlaubnis, sich zu seinen afrikanischen Brüdern ins Zelt zurückziehen zu dürfen. Seinem Begehren wohnt ein etwas mysteriöser Anspruch inne, und ich zwinkere ihm, sein Vorhaben billigend, verständnisvoll zu. Er schlägt militärisch die Hacken zusammen, macht auf dem Absatz kehrt und marschiert geradewegs auf die beiden für die Neuankömmlinge hergerichteten Zelte zu. Orfane bietet an, mich für die Nacht bei sich unterzubringen. Er lädt mich in seinen angenehm kühlen Pavillon ein, der über Klimaanlage, zwei gepolsterte Schlafbänke, einen kleinen Schreibtisch, einen Wandschrank und ein winziges, aber blitzsauberes Bad mit gekachelten Wänden verfügt. Mein Anblick im Spiegel hätte mich fast umgehauen. Nach allem, was ich an seelischen und körperlichen Strapazen hinter mir habe, hatte ich zwar einiges erwartet, aber statt eines Schiffbrüchigen starrt mir ein Wrack entgegen. Wie eine lebendige Leiche sehe ich aus mit meinem struppigen Bart, dem verdreckten, verfilzten Haar, den staubverklebten Augen, aus denen Rinnsale über meine hohlen Wangen sickern, und meinem kreidebleichen Teint. Mein Hemd erinnert an einen gebrauchten Putzlappen, meine verknitterte Hose an ein Scheuertuch. Es sollte mich nicht wundern, wenn ich nach toter Ratte rieche. Orfane zeigt mir noch eben Shampoo und Alepposeife auf der Inox-Ablage neben der Brause, und sofort reiÃe ich mir die Kleider vom Leib und springe unter die Dusche. Während ich mich wasche, setzt mein Gastgeber seine Mini-Stereoanlage in Gang, und afroamerikanische Musik durchzuckt mich von Kopf bis FuÃ. Seit einer Ewigkeit sind mir nichts als Geschrei, grobe Flüche und Gejammer zu Gehör gekommen. Daran gewöhnt, im selben Moment, in dem ich den Motor meines Wagens anwarf, Radio oder CD-Player einzuschalten, wird mir schlagartig klar, wie sehr mir die Musik gefehlt hat und wie sehr dieser Verzicht mich hat verkümmern lassen. Es ist wie ein Schwall Ozon, der sich in meine Lungen ergieÃt. Mir ist, als könnte ich förmlich hören, wie meine Seele zu neuem Leben erwacht. Mein Herz pocht so heftig, dass ich schon einen Anfall befürchte. Mein ganzes Wesen dürstet nach Musik â wie eine Hymne auf das Leben ist sie für mich. Die schäumenden Wassermassen auf meinem Körper versöhnen mich mit mir selbst. Während die schmachtende Stimme mich trunken macht, schrubbe ich mir mit verbissenem Eifer allen Schmutz und Dreck von Leib und Seele; zu meinen FüÃen rinnt eine schwärzliche Brühe hinab.
Orfane wirft mir einen Bademantel zu und überlässt mir die Bank in Fensternähe. Daneben erwartet mich schon ein Tablett mit einer dampfenden Suppe, frischem Salat, WeiÃbrot und einer Scheibe Räucherfisch. HeiÃhungrig stürze ich mich darauf. Orfane holt mir aus dem Mini-Kühlschrank noch ein Dosenbier und verschwindet dann im Bad, um ebenfalls zu duschen. Als er zurückkommt, einen weiÃen Lendenschurz aus grober Wolle um die Hüften geschlungen, nimmt er sich eine Limonade aus dem Kühlschrank; den Verschluss schnipst er mit dem Daumen weg.
»Noch ein
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