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Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Titel: Die Lange Erde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Stephen Baxter
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würde. Gott stellte alles im Überfluss zur Verfügung, keine Frage, gewaltige Mengen an Essbarem, das man überall herumrennen sehen konnte. Aber Gott half auch denjenigen, die sich selbst zu helfen wussten, und erwartete allem Anschein nach, dass die Auserwählten warme Kleidung, Wasserreinigungstabletten und eine Grundausstattung an Medikamenten bei sich hatten, eine Waffe wie etwa die Bronzemesser, die sich in jenen Tagen wie geschnitten Brot verkauften, und nach Möglichkeit ein Zelt – kurz gesagt, dass sie ein Mindestmaß an gesundem Menschenverstand zur Party mitbrachten. Falls das nicht so war, und falls man Glück hatte, dann erwischten einen nur die Stechmücken. Nur: Joshuas Meinung nach verfügte diese neue Apokalypse, wenn man die biblische Metaphorik ein wenig erweitern wollte, über vier eigene Reiter, nämlich die Habgier, das Unvermögen, Regeln zu befolgen, Verwirrung und Hautabschürfungen der unterschiedlichsten Art. Joshua hatte die Nase voll davon, die Erretteten zu retten.
    Genau genommen hatte er schon bald von allen die Nase gestrichen voll. Woher nahmen diese Leute das Recht, an seinen geheimen Orten herumzutrampeln?
    Noch schlimmer war, dass sie der Stille in die Quere kamen. So nannte er es bereits: die Stille. Diese Leute übertönten die Ruhe. Sie erstickten die ferne, alles durchdringende Präsenz hinter dieser Ansammlung von Welten, ein Etwas, dessen er sich schon sein ganzes Leben lang bewusst gewesen zu sein schien und das er sofort wiedererkannte, sobald er weit genug von der Datum entfernt war, um es zu hören. Allmählich verabscheute er jeden braun gebrannten Wanderer, jeden neugierigen Jugendlichen und den Lärm, den sie überall verursachten.
    Trotzdem fühlte er sich verpflichtet, all diesen Leuten, die er so verabscheute, zu helfen, und das verwirrte ihn zunehmend. Außerdem verwirrte ihn, dass er so viel Zeit allein verbrachte, und vor allem, dass ihm das gefiel. Deshalb zog er eines Tages Schwester Agnes ins Vertrauen.
    *
    Schwester Agnes war zweifellos fromm, aber auf eine ziemlich ungewöhnliche Art und Weise. In ihrem vollgestopften Zimmer im Heim hingen zwei Bilder an der Wand: Auf einem war das Herz Jesu zu sehen, auf dem anderen Meat Loaf. Außerdem spielte sie nach Meinung der anderen Schwestern ihre alten Jim-Steinman-Platten viel zu laut ab. Joshua hatte nicht viel Ahnung von Motorrädern, aber Schwester Agnes’ Harley sah so alt aus, dass womöglich schon der heilige Paulus im Seitenwagen mitgefahren war. Ab und zu pilgerten sehr behaarte Biker zu ihrer Garage im Heim am Allied Drive. Sie kochte ihnen Kaffee und passte auf, dass sie die Finger von der Lackierung ließen.
    Alle Kinder liebten sie, und sie liebte die Kinder, aber ganz besonders Joshua, vor allem, nachdem er ihrer Harley eine absolut traumhafte Bemalung verpasst hatte. Dazu gehörte auch der Spruch »Bat Into Heaven«, den er fein säuberlich und in einer dynamischen Kursivschrift, die er in einem Buch aus der Bücherei gefunden hatte, auf den Benzintank gepinselt hatte. Danach konnte Joshua in ihren Augen nichts mehr falsch machen, und sie erlaubte ihm, ihr Werkzeug jederzeit zu benutzen.
    Wenn es jemanden gab, dem er vertrauen konnte, dann war es Schwester Agnes. Bei ihr verwandelte sich seine übliche wortkarge Zurückhaltung gelegentlich, wenn er allzu lange weg gewesen war, in eine Flut von Worten, wie bei einem Dammbruch, und alles, was gesagt werden musste, kam in einem gewaltigen Wortschwall heraus.
    Deshalb erzählte er ihr, wie es war, ständig die Verlorenen, die Dummen und die Unangenehmen zu retten, und wie sie ihn immer anstarrten und dann sagten: »Du bist der Junge, stimmt’s? Der Junge, der wechseln kann, ohne sich hinterher fünfzehn Minuten lang wie ausgekotzt zu fühlen.« Er wusste nie, woher sie das wussten, aber so etwas sprach sich irgendwie herum, obwohl Jansson, die Polizistin, ihm damals versichert hatte, sie würde nichts verraten. Und das machte ihn anders, und wenn man anders war, wurde man zu einem Problem. Was nicht gut war. Und das konnte man nicht vergessen, nicht einmal hier in Schwester Agnes’ Arbeitszimmer. Denn direkt über den beiden Bildern vom Herz Jesu und von Meat Loaf hing die kleine Statue eines Mannes, den sie ans Kreuz genagelt hatten, weil er ein Problem gewesen war.
    Sie hatte gesagt, es komme ihr vor, als wäre er in einer Berufung gefangen, so ähnlich wie die ihre. Sie wusste, wie schwer es war, Leute von etwas zu überzeugen, von dem sie

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