Die langen Schatten der Erleuchtung
Kaminfeuer mit Holzscheiten, die wir selber gespalten haben! Weißt du noch?! Das einzige, was mich nachher noch interessiert hat, war das Brennen von Pflaumenschnaps! Ich hatte das Endprodukt auch bitter nötig: Vor allen Dingen, als der Herbst kam und es schon um vier Uhr dunkel wurde. Wenn wir dann ab und zu mal in diese öde, kleinkarierte Kreisstadt gefahren sind, hatte ich wenigstens für ein paar Stunden das Gefühl, wieder zu leben!“
„Na ja, damals hatten wir noch keine Ahnung von Meditation. Aber jeden Tag meditieren und das immerzu, also, um ehrlich zu sein, das geht mir langsam auf den Keks! Und außerdem schmerzen mir meine Knie vom ewigen Sitzen!“
„Wem sagst du das, Mathilda, ich spüre jeden Knochen. Aber wir können ja nicht schon nach drei Wochen aufgeben! Wir müssen noch etwas durchhalten! Vielleicht wird es auch langsam besser. Etwas Gutes hat diese Einfachheit wenigstens: Ich habe schon etwas abgenommen!“ Bei diesen Worten klopfte sich Hubertus auf den nicht mehr ganz so prallen Bauch.
„Weißt du, wen ich jetzt beneide, Hubertus? Jojo und Hanif! - Ich habe sie um ihre Einsamkeit und diesen wunderbaren Flecken Erde beneidet, als wir hierher kamen. Und jetzt beneide ich sie schon wieder! Was würde ich darum geben, mit ihnen jetzt im Schanzenviertel im Restaurant zu sitzen. Bei Costas hinten im Biergarten. Mit der ganzen Klicke zusammen. Ordentlich Wein und Bier auf dem Tisch, und dann bringt Costas uns das Essen: Bifteki, Gyros, Lammschnitzel und ´ne Flasche Ouzo! Ach, mir hängt dieses beschauliche Leben so zum Halse heraus! Aber zur Abwechslung können wir ja mal ins Dorf gehen, Hubertus! Wir brauchen sowieso Lebensmittel, Tabak und für dich ein wenig Feuerwasser! Und vielleicht können wir ja sogar ein paar Batterien für mein Radio auftreiben!“
Und so saßen Hubertus und Mathilda ein paar Stunden später durchgeschwitzt mit zwei riesigen Flaschen Bombay Pilsener an einem wackeligen Holztisch vor dem einzigen Dorfladen namens Food Balak Junior . Es war eine unbedeutende Siedlung, die ihre Entstehung eigentlich der Laune des britischen Majors Milster verdankte, dem es nach seiner Pensionierung gefiel, hier mitten im Dschungel ein Gebäude aus Holz zu errichten, das einem englischen Landhaus aus einem Magazin ähneln sollte. Von ein paar herumlungernden Einheimischen, die als Sänftenträger meistens vergeblich auf wohlhabende Pilger warteten, ließ Major Milster Bäume fällen und den Dschungel roden. Als nach zwei Jahren Bauzeit das Gebäude die größtmögliche Ähnlichkeit mit einem Landhaus erreichte, die es jedoch nicht lange bewahren konnte, hatten sich einige der Tagelöhner aus der Umgebung in der Nähe von Major Milsters Landsitz in der Hoffnung angesiedelt, er würde seine Bauarbeiten fortsetzen und sie könnten dabei ihren Lebensunterhalt verdienen. Tatsächlich hatten sich jedoch die Träume des Majors mit diesem Bau erschöpft, und er gab sich fortan uneingeschränkter denn je dem Genuss seines geliebten Gins hin, dem er auf seiner Terrasse bis spät in die Nacht zusprach. Über den Rand seines Glases konnte Major Milster beobachten, wie unweit seiner Terrasse so etwas wie ein Weg entstand, der sich im Laufe der Jahre zu einer Art Straße aus fest getretenem Lehm ausweitete. Zu beiden Seiten waren nach und nach flache Holzhütten mit Dächern aus Bambus, Palmblättern und verbeulten Wellblechen entstanden.
Damals sah Balak sen. seine Chance, als Händler endlich einmal zu Geld zu kommen. Er machte einen Kramladen auf und versorgte Major Milster mit allem Notwendigen, wobei Gin und Bitter Lemon absoluten Vorrang hatten und selbstverständlich aus dem Mutterland stammten.
Der Major war vom Gin schon schwer gezeichnet, als er Jahre später nach einer weiteren Eingebung ein Schild über dem etwas pompös geratenen Eingang seines Hauses anbringen ließ, das sein Heim fortan als Grand Hotel auswies. Doch nur selten verirrte sich ein Gast in diese Gegend, um dann auch umgehend wieder das Weite zu suchen, wenn ihm klar wurde, dass Major Milster ihn weniger als Gast betrachtete, den es zu verwöhnen galt, sondern als Zechkumpanen, der ihm bis spät in die Nacht zuprosten sollte. Die gastronomische Seite des Grand Hotel wurde durch Hari betreut, der sich bei der Fertigstellung des Landhauses als Zimmermann versucht hatte, und sich nun mangels weiterer Bauaktivitäten als Sekretär von Major Milster betrachtete. Vermutlich fehlte Milster schon
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