Die langen Schatten der Erleuchtung
Geschichte gleich noch mal erzählen will . –
Oh, ich fürchte, es ist mir nicht gelungen, euch aufzuheitern. Dann macht doch bitte den Fernseher oder wenigstens die Musik wieder an, wir wollen uns etwas zerstreuen!“
„Nein, du hast recht, Jojo“, sagte Harald, „ich werde morgen meine Mutter besuchen!“
Betretenes Schweigen. „Wisst ihr was?“, schlug Giaccomo, der geborene Verkäufer, der nach einigen Einwänden des Kunden sogleich wieder auf die unendlichen Vorteile des Produktes verweist, vor, „jetzt vergessen wir mal alle Theorie und Philosophie und gehen in die Flora . Dort gibt es ein Konzert, etwas zu essen und zu trinken!“
Jutta strahlte ihren Giaccomo an, als hätte er gerade ein weiteres Mal den gordischen Knoten zerschlagen.
„Ja“, bestätigte Jojo versöhnlich, „das ist eine gute Idee, das kennen Hanif und ich noch nicht!“
Ach, reines Glück genießt doch nie,
wer zahlen soll und weiß nicht wie.
Wilhelm Busch
Gary macht schlapp oder wie Bier, Schnaps und Tabak zu heldenhaften Taten inspirieren.
„Weißt du, Lissy, ich fühle mich heute irgendwie nicht!“, klagte Gary.
„Ach, mein Ziegenböckchen, es ist immer so schön heiß mit uns auf der Sonnenbank! Ich brauch´ das einfach, das ist wie Bumsen auf Malle! Und mit Kopfhörern ist das erst richtig turbooberaffengeil!“
Vera hatte sich, eine Etage tiefer, nicht zum ersten Mal über die laute Musik beschwert. „Also, wegen deiner wackelnden Lampe können wir nix machen!“, hatte Lissy lässig gekontert, „Schließlich ist das bei uns Leidenschaft und kein Seniorenturnen. Aber ich habe zuhause noch ein paar echt scharfe Ohrmuscheln!“
„Soll ich die etwa überziehen!?“, protestierte Vera.
„Quatsch – die sind für Gary und mich, wenn wir´s auf der Sonnenbank treiben. Leute, ich kann euch nur empfehlen, mal zu einem echten Hardcore Punkrock zu bumsen! Da kommt ihr wieder auf Trab!“
Seitdem trugen Gary und Lissy auf der Sonnenbank Kopfhörer. „Ich hätte schon Bock, mein Wildkätzchen! Ich hab‘ nur zuviel Sorgen im Augenblick! Die machen mich total fertig!“
Gary hatte beim letzten Kontrollgang zu seinem Stromzähler entdeckt, dass die Nadel, die die Drehscheibe so wirkungsvoll angehalten hatte, tiefer in das Loch ins Gehäuse reingerutscht war. Schon so weit, dass er sie nicht mehr greifen konnte. Und es war nur noch eine Frage von Tagen, bis die Ziffern wieder ihren Sprint aufnehmen würden. Schon jetzt fühlte er wieder das Entsetzen wie in den Wochen zuvor. Er hatte die letzten Nächte kaum geschlafen. Selbst wenn er dann einmal vor lauter Erschöpfung hinwegdämmerte, schreckte er bald schon wieder hoch. Er war in Schweiß gebadet, und sein Herz raste.
„Was ist denn los? Hast du Sorgen – dann sag´s mir, mein Hase!“, beruhigte ihn Lissy und zog den Widerstrebenden auf die Sonnenbank, „Wir finden schon einen Ausweg! Was meinst du, was ich nicht schon alles in meiner Spedition gedeichselt habe!“
Da brach das ganze Elend aus Gary heraus. Er heulte Rotz und Wasser und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Lissy nahm ihn auf der Sonnenbank in den Arm und legte seinen Kopf an ihren Busen. „Komm, das wird schon wieder! Erzähl mal alles schön der Reihe nach!“
Als sich Gary wieder etwas gefangen hatte, berichtete er von seinem jahrelangen Martyrium mit dem Zähler: Von der Bohrung mit Hanif und seiner zeitweiligen Erlösung, der sie ja immerhin ihre Bekanntschaft zu verdanken hatten.
Als Gary geendet hatte, meinte Lissy: „Mach dir man keine Gedanken, Kleiner! Ich habe gute Connections zur Wagenburg am Schanzenpark. Die werden mit ganz anderen Problemen fertig. Das Ding ist so gut wie geritzt, Schatzi! Also, vergiß es! Und jetzt hol mal unsere Kopfhörer und besorg´s mir wie neulich, weißt du noch?!“
Dann schaltete Lissy die Sonnenbank ein. Gary fühlte sich erleichtert. Es war das erste Mal, dass er seine Sorgen jemandem anvertrauen konnte. Und Lissys Beziehungen zur Wagenburg waren in der Tat Gold wert. Es war eine Ansammlung von Wohnwagen und anderen Fahrzeugen, die sich in der Nähe des Schanzenparks angesiedelt hatten. Wie ungeliebte Siedler im Indianerland hatten sie ihre Fahrzeuge zu einer Wagenburg formiert. Die Politiker duldeten diese Obdachlosen und Anarchos zähneknirschend. Die Polizei mied die Gegend wohlweislich, denn mit den Bewohnern der Wagenburg war nicht gut Kirschen essen. Es hieß, sie zapften
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