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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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der Kapelle war es wieder totenstill. Hinter dem Schuttberg, der noch abgetragen werden musste, am Ende des engen Ganges, konnte er nicht hören, was sich draußen abspielte. Heute Abend würden sie irgendwo, wo es gemütlich war, gut essen und ihre Entdeckung feiern. Sie hatten sich ein Gläschen verdient.
    Wieder lächelte Enrico Josi. Dann durchzuckte ihn ein Kälteschauer. Er warf einen letzten Blick auf das Mosaik, dann drückte er auf den Schalter der Lampe, um das Licht zu löschen. Er ließ sich von dem schwachen Lichtschein leiten, der vom Eingang hereinfiel. Beim Hinaufsteigen fiel ihm auf, dass ein Scheinwerfer nicht mehr leuchtete.
    Als er ins Freie trat, packte ihn eine jähe Angst.
    Aber was war denn das?, schoss es ihm durch den Sinn.
    Plötzlich kam es ihm so vor, als bekäme er keine Luft mehr. Verblüfft merkte er, wie ihm übel wurde, und er legte eine Hand auf die Brust.
    Ihm fiel die Kinnlade herunter.
    Er glaubte, das Opfer einer grauenhaften Halluzination zu sein.
    Was war denn hier passiert?
    Zu seinen Füßen lag ein Mann in einer schleimigen Flüssigkeit. Es war einer der einheimischen Arbeiter in seiner Djellaba. Blut floss vor Enrico Josis schwere Wanderschuhe. Er hob den Blick und sah sich auf dem Gelände um. Zwei weitere Arbeiter lagen in grotesken Stellungen am Boden, als seien ihre Glieder ausgerenkt. Er machte einige Schritte um die erste Leiche. Unweit von ihm waren vier Holzbretter kreuzförmig über eine Öffnung gelegt, durch die man zu einer Stelle in der unteren Siedlungsschicht gelangen konnte, an der man kürzlich gegraben hatte. Schwankend, im Gefühl, in einen Albtraum zu versinken, warf er einen Blick hinein. Er stieß einen Schrei aus, als er Pater Ungaro entdeckte, der von zwei Kugeln in die Brust getroffen war. Bei der Leiche steckte eine staubbedeckte Spitzhacke im Boden, daneben lag verlassen eine Schaufel.
    Enrico Josi drehte sich um seine eigene Achse. Er war das Opfer eines brutalen Adrenalinstoßes.
    Alle! Das ganze Team!
    Etwas weiter lagen die drei israelischen Soldaten, ihre Maschinengewehre noch um den Hals. Er konnte ihre Gestalten im letzten Schein der sinkenden Sonne nur erraten. Da versank sie, und die Dunkelheit hüllte die grausige Szene ein. Bei dem Tisch, den sie für ihre technische Ausrüstung aufgestellt hatten, drehte sich langsam und leise knarzend die Antenne. Der Bildschirm eines Computers leuchtete noch wie ein Mund unter der gesteppten Plane. Die Soldaten hatten noch nicht einmal Zeit gehabt, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben. Aber warum hatte er so gar nichts mitbekommen?
    Ich darf hier nicht bleiben, ich muss hier weg, schoss es ihm durch den Sinn.
    Er war in Schweiß gebadet. Da hörte er eine Stimme rufen:
    »Enrico Josi?« Er wandte sich um. Die Stimme hatte einen undefinierbaren Akzent.
    Die erste Kugel traf ihn zwischen die Augen und zeichnete einen Stern auf seine Stirn. Die zweite traf seine rechte Lunge, aus der sogleich das Blut hervorquoll. Die dritte durchschlug ihm den Unterleib. Er taumelte einen Augenblick – dann brach er mit glasigem Blick zusammen. Sein Hut fiel zu Boden und rollte davon, während er noch einmal aufseufzte. Er sah den Abendstern, der am Himmel aufgegangen war. Seine letzten Gedanken galten dem Drachen und der verkehrten Pietà, von denen er eine Skizze in sein Notizbuch gezeichnet hatte.
    »Vae victis«, sagte die Stimme ironisch.
    Es geschah in Megiddo, vor der Ebene von Estrelon und Jesreel, elf Meilen westlich vom Berg Tabor. Im Norden befand sich die Stadt Nazareth und im Osten der Hügel Moreh. Ein Dutzend Leichen lag auf einer Fläche von hundert Quadratmetern verstreut in Megiddo, das auf Hebräisch Har Megiddo heißt. Was für ein sonderbares Schlachtfeld!
    ♦♦♦
    »Wegtreten!«
    In ihrem klapprigen, gebraucht erworbenen Fiat auf das Gelände des prächtigen Vatikans zu fahren, gehörte zu den kleinen Späßen, die sich Judith erlaubte. Die Männer der Schweizergarde grinsten. Sie kannten die junge Frau lange genug, um zu wissen, dass sie das durfte. Manchmal machte sie einen Scherz über ihre Uniform, die Pumphosen, Hüte und Hellebarden, tat so, als nähme sie eine Truppenparade ab, und die Garden antworteten mit einem Augenzwinkern, das im Widerspruch zu ihrer üblichen Gelassenheit stand. Heute Morgen hatte Judith einen Parklatz in der Via Conciliazione gefunden und war nicht wie sonst mit lautem Geknatter vorgefahren, doch man hatte sich so scherzhaft begrüßt wie üblich.
    Sie ging

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