Die Lanze des Herrn
mit Blumenmustern der italienischen Renaissance verziert waren, vergoldetem Stuck, Trompel’Œil-Malereien und Fresken mit Putten, die zwischen Sternen schwebten. Neben vergoldeten Holzkonsolen, Steinskulpturen aus dem Mittelalter, Kabinetten aus dem 15. Jahrhundert mit Waffen des Vatikans sorgten Grünpflanzen, von verschiedenen Päpsten gesammelte Nippsachen und Reiseandenken für eine wohnliche Atmosphäre.
Als der Kardinal das Büro des Papstes betrat, saß dieser gerade über Stapeln von Notizzetteln und dicken Büchern gebeugt. Eine Tasse Tee stand in Reichweite. Der Heilige Vater arbeitete seit der Morgenmesse. Neben ihm lagen der vom Staatssekretariat erstellte Presseüberblick und die Tageszeitungen: Il Corriere della Sera, La Repubblica, La Stampa, Die Welt, Le Figaro, La Croix, The International Herald Tribune und der unvermeidliche Osservatore Romano. Drei Telefone standen mittendrin, und der Tisch war verlängerbar, damit die Sekretärin Platz für ihren Schreibblock hatte. Der Kalender des Papstes und das Telefonverzeichnis aller religiösen Gemeinschaften lagen neben einer ledernen Schreibunterlage, daneben standen eine Bronzeuhr und ein Kruzifix auf einem schwarzen Sockel.
In der stillen Arbeitsatmosphäre dieses Raumes hatte der Heilige Vater seine erste Enzyklika De Natura Rerum verfasst, und hier bereitete er Ad Vitam Aeternam vor. Allerdings fürchtete er seit einigen Tagen, dass er seine zweite Enzyklika gründlich überarbeiten müsste. Beim Fenster, unweit des kleinen rutschfesten Podests, auf dem er sonntags stand, wenn er die Abertausenden von Gläubigen auf dem Petersplatz segnete, saß Papst Clemens XVI.
»Dino, bitte setzen Sie sich.«
Der Papst betrachtete ihn eine Weile schweigend, das Kinn auf die Hand gestützt, den einen Ärmel seines makellosen Gewandes auf einem seiner Bücher. Ein kurzer Blick bestätigte dem Direktor der Vatikanischen Sammlungen, dass es die Werke waren, die er selbst dem Papst hatte bringen lassen. The DNA of God?, von Garza-Valdès, Die genetische Versuchung, von Professor Hermann Fribourg, Reproduktives und therapeutisches Klonen von François Kalm; Dolly, Polly – Adam von Nathanael Wiesman und Der Glaube an die Wissenschaft eines gewissen Park Li-Wonk. Der Papst schien besorgt. Nach ein paar Sekunden brach er das Schweigen und sagte mit fester Stimme:
»Ich habe Ihre Mitteilung gelesen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir beide in einer schwierigen Lage stecken. Aber – ich habe mich in diese Bücher vertieft und muss ehrlich sagen, dass sie ein wenig abstrus sind. Ich habe eine Frage, mein Freund.«
Er beugte sich vor, und sein goldener Ring blitzte eine Sekunde lang in der Sonne auf.
»Handelt es sich auch dieses Mal um groben Unfug, oder haben diese Leute tatsächlich Aussichten, ans Ziel zu kommen?«
Der Kardinal befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und schlug die Beine übereinander.
»Heiliger Vater, Sie fragen mich, wenn ich Sie richtig verstehe, ob wir ernsthaft bedroht sind. Man hat unsere Leute in Megiddo ermordet. Daran lässt sich unschwer erkennen, dass wir es mit Fanatikern zu tun haben, und auch die Ereignisse in Kairo sind zutiefst besorgniserregend.«
»Ich habe es gelesen. Dieser französische Archäologe…«
»Seltzner, Damien Seltzner.«
»Ihn hat man auch getötet?«
»Ja, Monsignore Almedoes verhandelt gerade mit der ägyptischen Regierung und dem Staat Israel. Und Sie dürfen mir glauben, es ist ein Drahtseilakt. Vielleicht braucht er Ihre Hilfe.«
»Ist Judith noch dort?«
»Sie ist gerade mit Anselmo nach Alexandria unterwegs. Ich glaube, sie ist außer Gefahr.«
»Ich möchte auf keinen Fall, dass ihr etwas zustößt, hören Sie? Ich habe Vertrauen in ihre Fähigkeiten und weiß auch, was Anselmo zu leisten in der Lage ist, aber es war unklug von uns, sie einzusetzen. Judith ist eine Gelehrte, die am Schreibtisch arbeitet, keine Ermittlerin. Kairo hätte noch schlimmer ausgehen können.«
»Ich kann sie jederzeit zurückrufen, Eure Heiligkeit.«
Der Papst zögerte.
»Alexandria, sagten Sie?«
»Ja. Wir haben nämlich neue Informationen.«
Der Papst sah ihn fragend an. Nachdem der Kardinal tief Luft geholt hatte, fuhr er fort:
»Sie kennen Pater Jean-Baptiste Fombert von der Bibelschule in Jerusalem. Ihm hatten Judith und ich die Übersetzung einiger Passagen der Pergamente des Longinus anvertraut. Es ist ihm gelungen, den Weg nachzuvollziehen, den die Pergamente genommen haben. Er wandte
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