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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Mikroskop erkennbaren Strich, um die Vorform der Wirbelsäule, der Mittelachse des Körpers. Manche Menschen sahen darin den Tag Null, den Beginn des Lebens. Die Forscher vom Sinai leisteten sich den Luxus, den Zeitpunkt, an dem das Kind zur Person wurde, nicht auf den ersten Tag, die dritte Woche oder den vierten Monat der Entwicklung des Fötus und schon gar nicht auf den Moment seiner Zeugung festzulegen, sondern auf das Datum, das ihnen am besten passte. War die Wissenschaft nicht schon immer bemüht gewesen, dem Menschen zu erlauben, die Natur zu beherrschen? Das Klonen war die logische Fortsetzung dieser Bestrebungen.
    Sie spürten den Blick Ernst Heinrichs auf sich und wandten sich den Kameras zu, als die Stimme aus dem Lautsprecher an ihr Ohr drang.
    »Wie weit sind Sie?«
    Professor Ferreri hielt das Reagenzglas ins Neonlicht.
    Er betrachtete es lange, eine Hand in der Tasche seines weißen Kittels. Dann zeigte sich ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Was für ein wahnsinniges, spannendes, maßloses Spiel!
    »Wir sind bereit«, sagte Professor Li-Wonk.
    Sie würden nur eine Chance haben.
    Und eine einzige Leihmutter.
    Ihre Neue Maria.
    ♦♦♦
    Im obersten Stockwerk des Turms, der die Stadt überragte, lehnte Ernst Heinrich sich in seinem ledernen Schreibtischsessel zurück. Nicht weit von ihm saß mit unerschütterlicher Miene Sandor, der ungarische Riese, der ihn meistens begleitete und gewissermaßen sein Schutzengel war. Ernst Heinrich saß vor einer Wand von vierzig Bildschirmen, die sonst hinter einer dunklen Vertäfelung verborgen war. Sein Kommandostand, sein Hauptquartier, von dem aus er den Fortschritt der Arbeiten im Labor am Sinai jederzeit verfolgen konnte. Momentan war nur ein einziges Bild auf den verschiedenen Schirmen zu sehen, die vier Professoren, die wie d’Artagnan und die drei Musketiere um ihr Reagenzglas im Konferenzraum neben dem Großen Saal versammelt waren. Ernst Heinrich warf einen letzten Blick auf sie, sie kamen ihm ein wenig blass vor, dann drückte er auf einen Knopf und beugte sich zum Mikrofon.
    »Fahren Sie nach Plan fort. Ich melde mich wieder.«
    Er unterbrach die Verbindung. Sein Blick fiel auf einen Abreißkalender neben dem Brieföffner auf seinem Schreibtisch. Am nächsten Tag hatte er eine Unmenge Termine. Lächelnd wandte er sich an Sandor.
    »Sagen Sie Fräulein Bergens morgen, sie möchte alle meine Verabredungen absagen. Sie kann sich freinehmen. Informieren Sie den Vorstandsvorsitzenden, dass ich mich nicht wohl fühle und vierundzwanzig Stunden lang nicht erreichbar bin. An der Sitzung am Freitagabend nehme ich natürlich teil. Sie können jetzt gehen.«
    Sandor nickte gehorsam, grüßte und verließ schweigend den Raum. Sobald er allein war, schüttete Ernst Heinrich einige Gramm weißes Pulver auf seinen Schreibtisch, schob die Körner sorgfältig zusammen und schnupfte sie in einem Zug. Er holte Luft und legte für einen Moment den Kopf in den Nacken, dann schüttelte er den Kopf und grinste. Er hatte Herzklopfen und versuchte sich zu beruhigen. Die drei stellvertretenden Direktoren von WerkersMedias würden sich um die laufenden Geschäfte kümmern. Die Aktionärsversammlung fand erst am 27. Juli in New York statt. Nur wenige im Vorstand wussten von dem Experiment am Sinai. Seine Stellvertreter hatten zwar bei den Vorbereitungen geholfen, wussten aber nicht, worum genau es ging. Ernst Heinrich hatte vor allem darauf geachtet, dass sie die Ereignisse von Megiddo nicht damit in Zusammenhang brachten. Er war jedoch nicht auf sich gestellt. Da Axus Mundi auf den Zukunftsmärkten aktiv war – pharmazeutische Produkte, künstliche Intelligenz, Mikroelektronik –, war das Unternehmen für diese Art Projekt bestens gerüstet. Doch die »Getreuen«, die aus den Reihen von WerkersMedias oder international bekannten Labors stammten, waren in erster Linie gewissenhafte Angestellte, denen daran lag, dem Fortschritt zu dienen. Es kam darauf an, sie zu benutzen, wie es ihm in den Kram passte. Sie hatten eventuell die Möglichkeit, gewisse Dinge zu durchschauen, aber Ernst Heinrich sorgte dafür, dass sie sich nicht austauschen konnten. Er wusste nur zu gut, woran ein großes Imperium zugrunde gehen konnte.
    Er griff mechanisch nach der Fernbedienung und richtete sie auf die Bildschirme. Er drückte auf einen Knopf, es knisterte und alle Bilder verschwanden. Nur das von einem blauen Kreis umrandete Logo von WerkersMedias war noch zu sehen. Dann erlosch es

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