Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
ließ Harry vermuten, dass er seit den Juristenpartys im Studium nicht mehr geraucht hatte.
    »Ja, das tue ich.«
    Harry nickte.
    »Aber du warst immer da«, sagte Hans Christian und saugte an seiner Zigarette. »In den Schatten, im Schrank, unter dem Bett.«
    »Hört sich an wie ein Monster«, sagte Harry.
    »Ja, da hast du nicht ganz unrecht«, sagte Hans Christian. »Ich habe versucht, dich irgendwie zu vertreiben, aber es ging nicht.«
    »Du brauchst nicht die ganze Zigarette zu rauchen, Hans Christian.«
    »Danke.« Der Anwalt warf sie weg. »Was soll ich dieses Mal tun?«
    »Ein Einbruch«, sagte Harry.
    Nach Anbruch der Dunkelheit hatte Hans Christian Harry in der Bar Boca in Grünerløkka aufgelesen.
    »Schönes Auto«, sagte Harry. »So eine richtige Familienkutsche.«
    »Ich hatte mal einen Elchhund«, sagte Hans Christian. »Jagd. Hütte. Du weißt schon.«
    Harry nickte. »Das gute Leben.«
    »Er wurde von einem Elch zu Tode getrampelt. Ich habe mich damit getröstet, dass das für einen Elchhund sicher ein guter Tod ist, sozusagen im Dienst.«
    Harry nickte. Sie fuhren erst nach Ryen und kurvten von dort aus weiter nach oben in Richtung der Häuser mit der besten Aussicht im ganzen Osten der Stadt.
    »Hier rechts ist es«, sagte Harry und zeigte auf ein im Dunkeln liegendes Haus. »Halt mal so ein bisschen schräg, damit das Scheinwerferlicht direkt auf die Fenster fällt.«
    »Soll ich …?«
    »Nein«, sagte Harry. »Du wartest hier. Lass das Telefon an und melde dich, sobald jemand kommt.«
    Harry nahm die Brechstange, stieg aus und lief über den Kies zum Haus. Die herbstlich klare Luft roch nach Äpfeln. Plötzlich hatte er ein Déjà-vu. Er und Øystein schlichen sich in einen Garten, während Holzschuh draußen vor dem Zaun Wache hielt. Und dann war ihnen ganz unvermittelt aus dem Dunkel eine Gestalt mit Indianerfederschmuck entgegengehumpelt, die wie am Spieß geschrien und geheult hatte.
    Er klingelte.
    Wartete.
    Niemand kam.
    Trotzdem hatte Harry das Gefühl, dass jemand zu Hause war.
    Er schob die Spitze der Brechstange in den Türspalt neben dem Schloss und lehnte sich vorsichtig mit seinem Gewicht dagegen. Es war eine alte Tür aus weichem, feuchtem Holz mit verwitterten Beschlägen. Als Harry die Tür weit genug nach innen gedrückt hatte, schob er mit der anderen Hand seine ID -Karte hinter das Schnappschloss und drückte zu. Das Schloss sprang auf. Harry schlüpfte nach innen und schloss die Tür hinter sich. Stand im Dunkeln und hielt den Atem an. Als er einen Schritt nach vorn trat, spürte er einen dünnen Faden an seiner Hand, vermutlich eine Spinnwebe. Es roch feucht und verlassen. Aber auch irgendwie stechend nach Krankheit, Krankenhaus, Windeln und Medizin.
    Harry schaltete die Taschenlampe ein. Sah eine leere Garderobe und ging weiter ins Haus hinein.
    Das Wohnzimmer sah aus wie gepudert, als wären alle Farben aus Wänden und Möbeln gesaugt worden. Der Lichtkegel glitt durch den Raum, bis der Lichtschein plötzlich von zwei Augen reflektiert wurde. Harrys Herz stockte, schlug dann aber weiter. Es war eine ausgestopfte Eule, ebenso grau wie der Rest des Raumes.
    Harry ging durch das ganze Haus und konnte am Ende lediglich konstatieren, es war wie in der Terrassenwohnung. Es gab nichts Außergewöhnliches.
    Bis er in die Küche kam und auf dem Tisch die beiden Pässe und Flugtickets fand.
    Obwohl das Passfoto sicher zehn Jahre alt sein musste, erkannte Harry den Mann von seinem Besuch im Radiumhospital wieder. Ihr Pass hingegen war nagelneu. Wenn das blasse Gesicht mit den strähnigen Haaren auch kaum zu erkennen war. Der Flug sollte nach Bangkok gehen, Abreise in zehn Tagen.
    Harry ging wieder nach unten ins Erdgeschoss. Hinter einer Tür hatte er noch nicht nachgeschaut. Im Schloss steckte ein Schlüssel. Er öffnete sie. Wieder schlug ihm der Geruch entgegen, den er schon im Flur bemerkt hatte. Er drehte am Lichtschalter hinter der Tür herum, und eine nackte Glühbirne erhellte die Treppe, die in den Keller führte. Immer stärker bedrängte ihn das Gefühl, dass jemand zu Hause war. Das Bauchgefühl, wie Bellman es leicht ironisch genannt hatte, als Harry ihn gebeten hatte, Martin Pran zu überprüfen. Ein Gefühl, das Harry, wie er jetzt wusste, in die Irre geführt hatte.
    Harry wollte nach unten gehen, spürte aber die inneren Widerstände. Ein Keller. Wie der, mit dem er selbst aufgewachsen war. Wenn Mama ihn gebeten hatte, nach unten zu gehen und Kartoffeln zu holen, die

Weitere Kostenlose Bücher