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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sollte.
    Ich sah immerhin noch, dass das geheime Kennwort mit K anfing und hörte, dass es insgesamt sechs Buchstaben hatte.
    »So«, sagte Frau Müller-Seitz. »Das wäre geschafft.«
    Seufzend setzte ich mich wieder hinter den Schreibtisch. Was war das für ein albernes System, das einem Mitarbeiter nicht mal eine selbstständige Korrektur erlaubte? Ich bemühte mich nach Kräften, mich nicht mehr zu verschreiben, und meine Nackenmuskulatur verhärtete sich immer mehr.
    Aber obwohl ich mir so große Mühe gab oder gerade deswegen vertippte ich mich schon zehn Artikelnummern weiter ein zweites Mal. Ich war gerade bei so genannten Weymouth-bridles angelangt, die es in siebenfacher Ausführung gab und deren Funktion ich nicht mal erahnen konnte. Ich rief Frau Müller-Seitz herbei und beschloss für mich, mir dieses Mal keinen Buchstaben des geheimen Codewortes entgehen zu lassen.
    Frau Müller-Seitz kam leicht genervt zu mir. Sicher fand sie, dass ich mich zu oft vertun würde.
    »Sehen Sie bitte weg«, sagte sie, aber ich heftete meinen Blick gierig auf ihre Finger. »K-E-S-S-I-E«, lautete das Kennwort, das konnte ich deutlich sehen, bevor ich unschuldig auf den Boden glotzte.
    Als Frau Müller-Seitz wieder nebenan an ihrem Schreibtisch saß, arbeitete ich entspannter weiter.
    Kessie war der Name von einem der Hunde, die die Familie Hoppe besaß. Insgesamt hatten sie drei, alles steifbeinige, kniehohe, kurzhaarige Tiere einer Rasse, die ich nicht benennen konnte, die aber sehr teuer war und gut zu braunen Kordjacken mit ka-riertem Innenfutter passte. Die anderen beiden Kläffer hießen Tessie und Jessie, und ich wäre jede Wette eingegangen, dass sich auch ihre Namen als Kennworte in diesem mitarbeiterfreundlichen Computerprogramm wie
    derfinden ließen. Mutig leistete ich mir einen weiteren Verschreiber, aus reinem Luxus. Und diesmal konnte ich ihn selbstständig wieder rückgängig machen.
    Mein Nacken entspannte sich merklich. Geradezu beschwingt arbeitete ich weiter. Nebenan bei Frau Mül- ler-Seitz tat sich nicht viel. Ab und zu verschwand sie für ein paar Minuten, vermutlich um in einem anderen Büro den abgestürzten Computer mit Kennworten zu füttern, und gelegentlich klingelte auch das Telefon. Einmal sah ich Wolf Hoppe durch die ledergepolsterte Türe treten, die zu seinem altenglischen Heiligtum führte. Er nickte mir freundlich zu.
    Der Tag verging erstaunlich schnell. Als Frau Müller- Seitz am Abend die Haube über ihre Schreibmaschine stülpte, war ich bei Artikelnummer 189900 angekommen, rubber covered reins, black, was immer das sein mochte.
    »Ich muss Ihnen noch zeigen, wie Sie sich wieder ausloggen«, sagte sie zu mir. »Wenn Sie da was falsch machen, stürzt der Computer ab.«
    Das konnte mich jetzt auch nicht mehr erschrecken. Tessie, Kessie und Jessie würden mich vor jeder tückischen Computerfalle bewahren, da war ich sicher. Ich legte die Blätter mit den bereits erledigten Artikeln neben die noch zu erfassenden und schätzte, dass ich gerade mal ein Zwanzigstel hinter mich gebracht hatte. Das bedeutete noch neunzehn ähnlich eintönige Arbeits-tage. Ich konnte nur hoffen, dass ich bis dahin eine richtige Stelle gefunden hatte. Müde stiefelte ich mit Frau Müller-Seitz die Treppe hinab.
    »Bis morgen dann«, sagte sie.
    »Bis morgen«, sagte ich. Noch neunzehn Mal.
    Triste Tage waren angebrochen. Abwechslung bot nur der jährliche Besuch mit Rothenberger beim Tierarzt. Das undankbare Vieh hasste es, in seinem hübschen, komfortablen Katzenkörbchen transportiert zu werden, und ich hasste sein Gejaule, wenn ich es dennoch tat. Wir hatten eine Lösung gefunden, die uns beide zufrieden stellte.
    Der eigensinnige Kater pflegte sich nämlich bereitwillig schnurrend in eine enge
    Baumwolleinkaufstasche zu legen, in der ich ihn problemlos in die Praxis tragen konnte. Obwohl er es in seinem Körbchen viel gemütlicher gehabt hätte. Seine schrullige Vorliebe für diese schlichte Tasche mit dem Aufdruck »Schont unsere Umwelt«

    brachte mir jedes Mal heiße Diskussionen ein, vorzugsweise mit vornehm ergrauten Damen, deren Pelztiere einen Stammbaum hatten und allesamt
    »Mischuh« hießen.
    Heute war es ziemlich leer im Wartezimmer. Ein Mann kniete auf dem Fußboden und versuchte, eine fauchende Katze hinter den Stühlen hervorzuziehen, und zwischen die stützbestrumpften Beine eines älteren Ehepaars hatte sich ein magerer Windhund gequetscht, zitternd und laut hechelnd. Ich setzte mich

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