Die Laufmasche
Wohnung.
Nina sagt zwar, sie habe eine Freundin, die wiederum eine Frau kenne, deren Traummann an der Tür geklingelt habe in Form eines Pizzadienstes, aber ich halte diese Geschichte für erfunden. Jeder, der sich schon mal eine Pizza nach Hause hat kommen lassen, wird mir hierin beipflichten.
Nach dem verpatzten Rendezvous beim Tierarzt hatte mich das letzte bisschen Optimismus verlassen, und mein liebster Aufenthaltsort war, ungeachtet der obigen Erkenntnis, meine trotz des umgekippten Regals gemütliche Wohnung, die mir in wenigen Tagen genommen werden sollte.
Die nächsten zwei Wochen verliefen absolut gleichförmig. Wenn ich abends den Computer ausgeschaltet hatte, fuhr ich durch den Regen nach Hause, mit nur einem kleinen Zwischenstopp am Supermarkt, wo ich mich mit Unmengen
fettreduzierter Chips und Tiefkühl- gemüse versorgte.
Jeden Morgen fuhr ich vor Morgengrauen zu Hoppe und Partner und hackte weiter
Artikelnummern in den Computer. Der riesengroße Stapel mit den Vorlagen schmolz dahin. Schneller als erwartet wurde der Haufen mit den erfassten Artikelnummern größer als der mit den unerledigten.
Das Programm stürzte nach wie vor noch jede Stunde einmal ab, aber dank meiner illegalen Kenntnis über die geheimen Codewörter merkte niemand etwas davon. Trotzdem ließ ich Frau Müller-Seitz hin und wieder kommen, nur so zur Tarnung.
Ansonsten vegetierte ich völlig isoliert in meinem Glaskasten dahin. Mit Ausnahme von Frau Müller-Seitz und Wolf, der mir von Zeit zu Zeit durch die Scheibe zunickte, hatte ich tagelang keinerlei Kontakt zu anderen Menschen. Auch abends nicht.
Ich hängte das Telefon aus und rührte mich nicht aus der Wohnung. Manche Tage vergingen, an denen ich über viele Stunden kein einziges Wort von mir gab. Wenn ich mich dann abends an der Supermarktkasse für mein Wechselgeld bedankte, erschrak ich über den Klang meiner eigenen Stimme.
So troff der Monat dahin, ein Tag wie der andere.
Das einzige Highlight im Sumpf dieser verregneten Novembertage war ein Besuch von Till. Ich lag wieder einmal völlig antriebslos auf dem Bett, in einer Wüste von fettreduzierten Chipskrümeln, und hörte zum vierundzwanzigsten Mal hintereinander Time in a bottle von Jim Croce, als er klingelte. Till, nicht Croce. Ich ließ ihn herein, obwohl ich ungekämmt war und beutelige Jogginghosen mit Strickflicken am Hintern trug.
»Was machst du gerade?«, fragte er.
Ich hob meine Arme zu einer vielsagenden Geste.
Er musterte mich, das zerlegene Bett samt Chipskrümeln und Jim-Croce-CD-Hülle mit Kennerblick. »Winterdepression, hm?«
»Ich fürchte, diesmal ist es von der Jahreszeit unabhängig«, seufzte ich. »Ich bin verflucht worden.«
Till wollte nichts davon hören.
»Was dir fehlt, ist - Sex«, behauptete er. Er sei gerne bereit, diesen Mangel auszugleichen.
Ich winkte müde ab.
»Ich glaube, das wäre Daria auch gar nicht recht«, meinte Till und kraulte Rothenbergers Luchsohren.
»Wer ist Daria?«
»Meine aktuelle Freundin«, sagte Till. »Du würdest sie mögen.«
»Wie sieht sie aus? Wie alt ist sie? Was macht sie so? Hat sie reiche Eltern?« Ich ließ mich zurück in die Chipskrümel fallen und schloss die Augen.
Till legte sich neben mich.
»Sie ist ein echter Schuss«, sagte er mit Stolz in der Stimme und streichelte sanft über meinen Scheitel. Blonde Locken, lange Beine, Körbchengröße fünfundsiebzig B und dazu eine Taille wie Scarlett O'Hara. Klar, dass so was nebenher als Model jobbte und trotzdem was in der Birne hatte. Sie studierte jetzt Jura im vierten Semester und war zweiundzwanzig Jahre alt. Zu alledem machte sie eine spitzenmäßige Lasagne und hörte, wie gesagt, auf den schönen Namen Daria.
Ich hielt mir die Ohren zu. Wenn das Leben nicht ungerecht war! Till streichelte weiter über meinen Scheitel.
Nach einer Weile nahm ich die Hände von den Ohren und öffnete die Augen.
»Bist du so richtig verliebt?«, fragte ich neidisch.
Man musste sich wunderbar fühlen mit
Frühlingsgefühlen mitten im November. Für eine Person, die man beim richtigen Namen nennen und -
Himmel! - berühren konnte.
Till schüttelte den Kopf.
»Nö«, sagte er. »Man ist ja schließlich keine achtzehn mehr.«
»Willst du damit sagen, der Grad der Verliebtheit nimmt mit zunehmendem Alter ab?«
»Ja«, antwortete Till.
Ich machte betroffen die Augen wieder zu. Wenn diese These zutraf, war ich so gut wie tot. Bisher hatte ich immer noch angenommen, dies hier sei nur ein
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