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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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meinte Frau Berghoff. »Was haben Sie denn vorher gemacht?«

    Ich erzählte von meinem Studium und der Arbeit im Verlag.
    »Und da wollen Sie wirklich hier anfangen?«, rief Frau Berghoff aus.

Ich nickte verunsichert.
    Frau Schmidt lächelte. »Ich bin ja noch bis Ende der Woche hier, um Sie einzuarbeiten.«
    »Warum denn nur noch so kurz?«, fragte ich.
    »Das Semester beginnt doch erst im April oder so.«
    »Sehr scharfsinnig beobachtet«, sagte Frau Berghoff, aber Frau Schmidt zuckte nur mit den Achseln.
    Frau Berghoff zwinkerte mir zu. Sie gefiel mir.
    Auch der Raum wirkte irgendwie anheimelnd. Er war sehr klein, aber hell. Auf der Fensterbank dudelte ein Radio vor sich hin, die Sicht auf das unschöne Hallendach war mit einer Menge wild wuchernder Pflanzen verdeckt. Und das Allerbeste: Nirgendwo sah ich einen Aschenbecher stehen.
    An der Wand hinter Frau Schmidts Platz hingen ein Kalender mit Bildern von Michael Schumacher und seinem Rennwagen sowie gerahmte Fotos von einem kleinen, plumpen Pferd mit weißer Mähne.
    Frau Schmidt war meinem Blick gefolgt und lächelte.
    »Das ist mein Shetty«, sagte sie. »Mögen Sie Shetland- ponys?«
    »Das kann ich nicht sagen«, meinte ich ehrlich.
    »Ich kenne nur Shetlandpullover.«
    Frau Berghoff lachte laut. Ich lachte mit, das erste Mal seit Wochen. Da kam leider Herr Kernig schon zurück.
    »Ich schlage vor, dass wir die Damen jetzt weiterarbeiten lassen, und Frau äh kann sich übers Wochenende überlegen, ob sie den Job will«, sagte er, fasste mich am Ellenbogen und zog mich aus dem Raum.
    »Ich denke schon«, sagte ich und lächelte euphorisch. Ich mochte das Büro und die Frau, mit der ich darin arbeiten würde. Der Job klang erstaunlich interessant, und ganz besonders lockte mich natürlich das von Wolf angepriesene, überdurchschnittlich hohe Gehalt, bei dem es nach oben hin keine Grenzen gab.
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich zu Frau Berghoff und Frau Schmidt.
    Ganz benommen begab ich mich zurück in mein gläsernes Gelass, um die letzten englischen Artikelbezeichnungen zu erfassen. Ich konnte mich nur sehr schwer konzentrieren. Die Aussicht, bald als hoch bezahlte Exportmanagerin und persönliche Assistentin der Geschäftsleitung auf internationalen Messen zu arbeiten, verlangte nach einem Gedankenaustausch mit einem liebenden Menschen. Frau Müller-Seitz nebenan hatte das Büro wegen eines Zahnarzttermins verlassen, und so wagte ich es, von ihrem Telefon bei meinen Eltern anzurufen. Sie waren ganz begeistert von meinem beruflichen Aufstieg.
    »Das ist aber wirklich nett von Wölf«, sagte meine Mutter. »Und alles, weil sich Roswitha so für dich eingesetzt hat. Du solltest ihr einen Blumenstrauß vorbeibringen. Ich kaufe ihr auch eine Kleinigkeit.«
    »Siehst du, es geht aufwärts, mein Kind«, sagte mein Vater. »Und wie sieht es mit einer Wohnung aus? Schon irgendwas in Sicht?«

    »Nichts«, sagte ich betrübt. »Gar nichts.«
    »Dann kommst du eben einfach nach Hause zu-rück, wie wir es besprochen haben. Dein Zimmer ist ja frei«, sagte mein Vater tröstend. »Bei uns kannst du so lange wohnen, wie du willst. Und es kostet ja auch nichts. Denk nur mal, wie viel Geld du in Zukunft spa
    ren kannst, für Reisen oder eine kleine Eigentumswohnung.«
    »Ja«, sagte ich, und meine Euphorie war mit einem Schlag verflogen. Der verdammte Fluch lastete ja immer noch auf mir, wie hatte ich das nur vergessen können? Jetzt trieb er mich sogar zurück in mein Kinderzimmer.
    Ich rief bei Nina an, um ihr zu sagen, dass ich gezwungen sei, in mein Elternhaus zurückzuziehen.
    Mit neunundzwanzig Jahren!
    »Und wenn schon«, sagte Nina. »Ich wünsche mir das jeden Tag mindestens einmal. Es gibt Schlimmeres.«
    »Vielleicht«, gab ich zu. »Außerdem geht es aufwärts. Rate, wer demnächst als Exportmanagerin für Reitgerten saumäßig Kohle macht?«
    Nina erriet es auf Anhieb. »Klingt toll«, sagte sie.
    »Ich freue mich für dich. Auch wenn Natalie dich empfohlen hat.«
    »Ja«, sagte ich. jDas stimmt mich natürlich auch etwas misstrauisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mir etwas Gutes tun will.«
    »Freu dich trotzdem«, verlangte Nina. »Wenigstens machst du jetzt Karriere.«
    Ja, und das war auch gut so, denn sonst gab es in meinem Leben eigentlich nichts mehr, worauf ich mich freuen konnte.
    »Du kannst dich auf meinen Geburtstag freuen«, meinte Nina herzlos. »Machst du mir für Samstag deine berühmte rote Grütze? Es kommen jede Menge interessante

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