Die Laufmasche
eine Blondine zum Frauenarzt - ...«
»Ich kenne auch einen guten«, unterbrach ich ihn und würgte hastig ein Lebkuchenherz hinunter.
»Sagt ein Rothaariger zu einem Glatzköpfigen: Bei dir hatte der liebe Gott wohl auch keine Haare mehr zum Verteilen, was? Doch, sagt der Glatzköpfige, aber nur rote, und die wollte ich nicht.«
Diesmal lachten alle. Richtig herzlich.
»Haha«, sagte Kernig. Er strich sich unschlüssig über sein schütteres Haar. Er war sich wohl nicht ganz im
Klaren, ob er sich zu den Glatzköpfigen oder den Rothaarigen zählen sollte.
»'s ist, als ob Engelein siiiingen wieder von Frieden und Freud'«, jubelte der Knabenchor.
In meinem Herzen verspürte ich weder Frieden noch Freud'. Ich drehte mich zu dem beknackten Weihnachtsbaum um und wünschte mich weit weg.
An Heiligabend regnete es immer noch. Ich lag in meiner geflickten Jogginghose auf dem Sofa und starrte auf die herunterbrennenden Kerzen. Meine Eltern hatten mir, bevor sie gefahren waren, einen Weihnachtsbaum besorgt, bereits in den Ständer gezwängt und auf dem Balkon zwischengelagert.
Meine Mutter hatte eine Schachtel mit Baumschmuck bereitgestellt und mir das Versprechen abgerungen, das Bäumchen zu Heiligabend ins Wohnzimmer zu tragen. Sie hatte ein bisschen dabei geweint, und so hatte ich ihr tatsächlich versprochen, es mir an Weihnachten so richtig schön gemütlich zu machen. Die Hallelujastaude stand in der üblichen Ecke und war, ganz im Sinne der Familientradition, mit schlichten Strohsternen und roten Kerzen geschmückt, die den Raum in melancholisches Licht tauchten. Dazu hatte ich das »Weihnachtsoratorium« von Bach aufgelegt.
Meine Mutter hatte einen halben Puter für mich tiefgefroren, aber auf den hatte ich keinen Appetit.
Ich nagte deprimiert an einer Aachener Printe. Um halb acht fiel mir immerhin ein, dass ich meine Geschenke ja noch auspacken musste.
Von meinen Eltern bekam ich ein Paar neue Skier.
Sie hatten nur die Bindung eingepackt, auf dass ich das
Geschenk nicht sofort erriete. »Die Skier stehen in der Waschküche. Wir konnten ja nicht wissen, dass du dieses Jahr nicht bei uns im Schnee sein würdest«, stand in ihrem Weihnachtsbrief. Nein, das hatte niemand wissen können.
Von Nina und Robert bekam ich eine Maschine geschenkt, mit der man Leitungswasser in Sprudelwasser verwandeln konnte. »Damit du in Zukunft nicht immer die schweren Wasserkästen schleppen musst«, stand auf der beiliegenden Karte.
Beide schienen davon auszugehen, dass es auch in Zukunft niemanden in meinem Leben geben würde, der mir diese Arbeit abnehmen konnte.
Tills Geschenk hatte schon Tradition. Er schenkte mir jedes Mal an Weihnachten einen
Taschenkalender für das nächste Jahr. Eine kleine Kladde mit zarten Blumenaquarellen, auf der Lady's Kalender stand. In diesem Jahr fiel - Überraschung!
- ein lackschwarzes Etwas aus dem Papier. BAD
WOMAN stand darauf, und eine pfiffig aussehende Emanze streckte mir die Zunge heraus.
»Irgendwie fand ich diesen Kalender passender«, hatte Till auf die erste Seite geschrieben.
Ich blätterte mich durch das »Jahr der Power-Frau«. Direkt im Januar stand ein Zitat von Shere Hite: »Die Männer hatten die Welt 2000 Jahre in ihrer Obhut. Jetzt sind wir an der Reihe. Nachher können wir wieder teilen.«
Das fand ich nur gerecht. Mir gefiel der Bad-Wöman- Kalender letztlich besser als der pastellige für die Lady. Nur fürchtete ich, dass er ebenso wenig zu mir passte. Das letzte Geschenk passte hingegen ausgezeichnet. Es war ein rot-grün karierter Regenschirm von meiner Oma. Dazu eine Karte, auf der stand, dass ich den sicher gut gebrauchen könne. Es war eine lustige Karte, auf der ein fesches vollbusiges Mädel mit Lotti-Krekel- Zöpfchen und Schulranzen abgebildet war.
Darunter stand: »Endlich achtzehn! Wir gratulieren!«
Oma kaufte ihre Karten immer selber ein. Ich hatte schon Weihnachtskarten bekommen, mit denen sie mir zum Führerschein gratulierte oder zum fünfzigsten Hochzeitstag.
Ich betrachtete meine Geschenke - die Skier, die ich nicht benutzen konnte, die Wassermaschine für den ewigen Single, der ich nicht sein wollte, den Kalender für die Power-Frau, die ich nicht war - und fand sie allesamt deprimierend.
Ablenkung suchend, zappte ich mich durch sämtliche Fernsehkanäle. Was ich brauchte, war ein knallharter Krimi, möglichst blutig. Aber so was wurde an Heiligabend natürlich nicht gesendet.
Stattdessen sah ich mir noch einmal »Vom Winde
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