Die Laufmasche
verweht« an. Dabei las ich in dem Bad-Wöman-Kalender und leerte eine Flasche Champagner, die mein Vater von seinen Schülern geschenkt bekommen hatte.
Gegen zehn brach Scarlett O'Hara weinend auf den Stufen ihres Hauses zusammen, und da brauchte ich auch dringend frische Luft. Ich zog meinen Mantel an, nahm meinen neuen Schirm und machte einen Spaziergang durch die Heilige Nacht.
Rothenberger begleitete mich in einiger Entfernung durch die mit Lichterketten erleuchteten Vorgärten.
Außer uns war niemand unterwegs. Ich versuchte, durch die kahlen Hecken in die weihnachtlichen Wohnzimmer zu spähen, und sah überall Menschen, die in trauter Runde unter dem Weihnachtsbaum die gefüllte Gans verdauten. Niemand schien an diesem Abend allein zu sein.
Niemand außer mir.
Bei Hoppes stand ein metallic-grünes Golf Cabrio in der Einfahrt, um das eine gigantische pinkfarbene Schleife gebunden war, die, obwohl vollgesogen mit Regen, immer noch einen prächtigen Anblick bot.
Das war Wolfs und Roswithas Geschenk an Natterlie, das sechste Cabrio, seit Natalie den Führerschein gemacht hatte. Der promovierte Zukünftige hatte sicher einen vierkarä- tigen Verlobungsring dazugelegt. Und der Baum war in diesem Jahr ganz in der Trendfarbe »Champagner«
gehalten, darauf hätte ich wetten können.
Das Hoppesche Anwesen war so von Garagen abgeschirmt, dass es unmöglich war, diese Vermutung von der Straße her zu bestätigen. Ich wusste aber aus Erfahrung, dass man von unserem Garagendach völlig freie Sicht in das nachbarliche Wohnzimmer hatte. Nicht, dass es mir so wichtig gewesen wäre, einen Blick auf den Hoppeschen Weihnachtsbaum zu erhaschen, aber ich hatte plötzlich einfach Lust auszuprobieren, ob ich noch in der Lage war, auf das Garagendach zu klettern.
Früher hatte ich das oft getan. Über das Clematisspalier und mit einem Klimmzug an der Dachrinne ging das ruckzuck. Ich schaffte es sogar mit Schirm. Toll. Das hätte ich längst mal wieder machen sollen.
Von hier oben hatte man einen wunderbaren Rundumblick. Und den Weihnachtsbaum der Hoppes konnte ich in allen Einzelheiten erkennen.
Er war tatsächlich deckenhoch, eine weißliche Edeltanne, ganz in Blau und Gold geschmückt.
Ehrlich gesagt, scheußlich.
Mein Oberboss saß keine fünf Meter Luftlinie entfernt stieren Blicks vor dem Kamin, und ich konnte deutlich sehen, dass seine Kordhosen weit offen standen. Ja, ja, so eine gefüllte Gans konnte einem ganz schön zu schaffen machen.
Kessie, Jessie und Tessie balgten sich vor dem Kamin
um eine alte Socke. Dass sie dabei so schrill kläfften, wie Spitze - oder was immer Kessie, Jessie und Tes- sie auch sein mochten - eben kläffen, konnte ich zwar nicht hören, mir aber lebhaft vorstellen.
Roswitha Hoppe schließlich war in ein Strickensemble mit dicken goldenen Knöpfen gehüllt und sah aus, als hätte sie an der Gans höchstens mal geleckt. Sie saß neben Wölf, las in einem Buch mit dem Titel »Die Superzauberfrau«
und lächelte leicht vor sich hin. Sicher hieß die Superzauberfrau auch Roswitha.
Natterlie und ihr Lover waren nicht zu sehen.
Auch sah ich nirgendwo den Vierkaräter hervorblinken. Alles in allem ein ziemlich trostloser Anblick.
Ich drehte ihnen den Rücken zu, blickte in den nassen Garten hinab und ließ in Gedanken die letzten zwölf Monate Revue passieren. Dieses Jahr hatte es wirklich in sich gehabt. Das aufregendste Erlebnis, von den wenig befriedigenden Begegnungen mit Erik mal abgesehen, war die Ummeldung meines Autos beim
Straßenverkehrsamt gewesen, die aufregendste Männergeschichte ein Kinobesuch in einem Film, in dem Ke- anu Reeves mitgespielt hatte. Der Regen prasselte unbeirrt auf meinen neuen Schirm nieder.
Ich fing an zu weinen.
Frau Hoppe weckte mich am nächsten Morgen telefonisch und fragte, ob ich für den Abend schon etwas vorhätte.
»Warum?«, fragte ich misstrauisch.
»Nun, wir haben uns kurzfristig entschlossen, die Eltern von Natalies Zukünftigem zum
Weihnachtsessen einzuladen«, sagte Frau Hoppe, und ehe ich auf den Gedanken verfallen konnte, dass sie mich, die bedauernswerte, vorübergehend verwaiste Nachbarin, dazubitten wollte, fuhr sie fort: »Jetzt brauchte ich jemanden, der mir in der Küche und beim Servieren hilft. Und so kurzfristig und am Feiertag bekommt man ja kein Personal.«
Ich verstand. »Ich glaube nicht, dass ich die Richtige dafür bin«, sagte ich.
»Felicitas! Ich erwähne das wirklich nur ungern, aber nach allem, was wir für
Weitere Kostenlose Bücher