Die Laufmasche
wollte ich wissen und lachte. »Anzisch, anzisch!«
»Das ist babylonisch«, behauptete Beate. »Los, jetzt halte beide Hände über das Glas und sage den Namen. Dreimal.«
Britt, dachte ich. Britt, Britt, Britt. Oder Kernig.
Aber eigentlich waren die mit sich selbst schon gestraft genug. Und sonst kannte ich keinen, dem ich meinen Fluch auf den Hals wünschte.
Beate stöhnte. »Das habe ich mir fast gedacht, dass
du dabei kneifst. Wir drehen jetzt den Deckel auf das Glas, und du nimmst deinen Fluch mit nach Hause.
Vielleicht fällt dir ja später noch jemand ein.«
»Möglich«, sagte ich heiter. »Vielleicht haben sie bis dahin wieder tote Fliegen in diesem Laden.«
Beate zog ihre Augenbrauen hoch.
»Ab jetzt ist alles möglich«, sagte sie ernst, und ich spürte einen wohligen Schauder über meinen Rücken rieseln. »Alles!«
Es klingelte an der Türe. »Mein Bruder! Keine Sekunde zu früh.«
Beates Bruder hatte ebenso blaue Augen wie sie.
Er war ungefähr Mitte Dreißig und mir auf Anhieb sympathisch. Alles ist möglich, wiederholte ich in Gedanken, aber der Bruder war nur über Silvester in Köln. Den Rest des Jahres wohnte er in Erfurt, wo er eine gut gehende Hals-Nasen-Ohren-Arztpraxis sowie Frau und drei Kinder besaß. Ich beschloss, ihn weiterhin einfach nur sympathisch zu finden.
Alles war möglich, aber es musste ja nicht sofort sein!
Zu dritt räumten wir den überwiegenden Teil von Beates Wohnzimmereinrichtung in ihr Schlafzimmer und bauten Getränke und ein kaltes Büffet in der Kü-
che auf. Das Büffet bestand aus Tellern, Besteck, Ba- guette und Kräuterbutter sowie der großen Schüssel mit meiner roten Grütze, aber Beate sagte, den Rest würden die Gäste schon mitbringen.
Deshalb konnten wir uns in Ruhe der Maskierung widmen. Zu dritt quetschten wir uns in Beates kleines Badezimmer.
Marius, der Bruder, hatte kein Kostüm mitgebracht, nur eine Art Schnabel aus Pappmache.
Er wolle einfach den komischen Vögel aus dem Osten darstellen, sagte
er und schlang sich eine papageienbunte Federboa von Beate um den Hals. Das restliche Gesicht malte er sich grasgrün.
Ich fand es sehr schwierig, ein Brunhilden-Make-up zu erfinden, und entschied mich für eine Kriegsbemalung in Gold und Schwarz. Meine Haare wurden aufgedreht, und nachdem Beate eine ganze Dose Goldglit- ter auf die Locken gesprüht hatte, fand ich, dass es die reinste Schande sei, den bescheuerten Helm aufzusetzen. Beate wiederum war sehr erfinderisch mit ihrer Maske. Damit auch der letzte Blödmann erraten konnte, dass sie Hornröschen darstellte, hatte sie eine Menge Rosen aus pinkfarbenem Kreppapier zu einem Kranz ge-wunden, den sie über ihren Hornhelm zog. Dann malte sie sich eine Rose auf die Wange, deren Stängel zwischen ihren Lippen endete, sodass es aussah, als trüge sie die Blume quer im Mund.
Ich erlebte eine böse Überraschung, als ich in mein weiß-goldenes Brunhildenkostüm steigen wollte. Statt wie geplant bis -zum Fest ein, zwei Kilo abzunehmen, hatte ich zirka zwei, drei Kilo zugenommen. Daher blieb der Reißverschluss in der Taille stecken.
»Geht nicht weiter«, keuchte ich und zog noch einmal mit Gewalt.
»Ich helfe dir«, erbot sich Beate. Auch sie zerrte mit aller Kraft, aber der Speck auf meinem Rücken blieb Sieger.
»Das wäre doch gelacht.« Beate stellte sich breitbeinig hin, holte tief Luft und zog ein letztes Mal mit voller Gewalt - und plötzlich zurrte der Reißverschluss mühelos hoch bis zum Hals.
Allerdings nur einseitig.
»Scheiße«, sagte sie. »Abgebrochen. Das Ding stammt noch aus den Sechzigern.«
Ich tastete panisch nach dem klaffenden Spalt an meinem Rücken.
»Und jetzt?« Ich war den Tränen nah. »Wo soll ich einen neuen Reißverschluss herbekommen?«
Beate war ebenfalls ratlos. »Keine Ahnung, wirklich. So ein Mist. Tut mir echt Leid.«
»Vielleicht gehe ich doch besser nach Hause«, sagte ich in einem Anfall meines alten Selbstmitleids. Aber davon wollte Beate nichts wissen.
»Ich könnte dir das Ding direkt auf dem Leib zunä-
hen«, schlug Marius vor. »Es wird dann sitzen wie eine Eins.«
Da mir nichts anderes übrig blieb, stimmte ich seiner Idee zu. Beate holte dicken weißen Zwirn und eine riesige Nähnadel aus ihrem Nähkorb.
»Das ist eine Polsterernadel«, erklärte sie und kicherte vergnügt. »Genau richtig, wenn der Stoff so unter Spannung steht wie in diesem Fall.« Während sie das Kleid, so gut es ging, an meinem Rücken zusammenhielt und ich, so
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