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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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gut es ging, das Atmen unterließ, nähte Marius die beiden
    Reißverschlusshälften mit großen Stichen an-einander.
    »Wie maßgeschneidert«, meinte er, als er fertig war. Ich wollte es nicht recht glauben und verlangte einen zweiten Spiegel, damit ich mich von hinten sehen konnte. Aber es stimmte: Es war kaum zu erkennen, dass der Reißverschluss kaputt war. Das Kleid saß wie angegossen, nur ein bisschen wulstiger als sonst.
    »Es wird schwierig werden, es wieder
    auszuziehen«, meinte Beate. »Du solltest heute nicht allein nach Hause fahren.«
    »Ich möchte nicht wissen, was die beim Kostümverleih dazu sagen«, meinte ich, aber Beate erklärte, es sei
    deren Schuld, einen solch morschen
    Reißverschluss mit- zuverleihen. Genau genommen müsste man uns sogar Schadenersatz zahlen.
    Ich setzte getröstet meinen Helm auf und malte mir noch ein paar grobe Narben ins Dekollete. Beate und ich waren sehr zufrieden mit unserem Spiegelbild. Was wir allerdings nicht bedacht hatten, war die fehlende Bewegungsfreiheit in den Kostümen. Als es das erste Mal klingelte, trat Beate auf den Saum ihres Dornröschenkleids und fiel der Länge nach auf den Teppichboden.
    »Hast du dir weh getan?«, fragte ich erschrocken.
    Beate setzte sich auf und rückte ihr Einhorn wieder gerade.
    »Scheiße«, sagte sie. »Da kann man nicht mal drin gehen. Geschweige denn tanzen!«
    »Deins ist länger als meins«, stellte ich fest. »Wir müssen den Saum mit Sicherheitsnadeln hochraffen. Das sieht sogar gut aus.«
    Und während_ Beate im Flur ihre Gäste begrüßte, kniete ich zu ihren Füßen und steckte das Kleid am Unterrock fest. Mein eigenes Kleid bildete dabei einen gold-weißen Hof aus Tüll und Spitze um mich herum, und die ersten Gäste traten es auf dem Weg ins Wohnzimmer mit Füßen.
    »Es tut mir Leid«, sagte ein als schwangere Frau verkleideter Mann zu mir. »Aber in meinem Zustand kann ich nicht mehr so weit springen.«
    Als ich die allerletzte Nadel feststeckte, klingelte es wieder. Es waren ein Meister Eder und sein Pumuckl sowie ein Hüne im Brustpanzer und mit einem Wikingerhelm mit Hörnern, doppelt so groß wie meine. Er kam mir sehr bekannt vor.
    »Erik«, rief Beate und umarmte den Hünen.
    Er war es tatsächlich. Unter dem Brustpanzer trug er nur eine kniekurze Tunika, und seine muskulösen goldbehaarten Beine endeten ungefähr in meiner derzeitigen Augenhöhe. Es waren sehr schöne Beine für einen Mann.
    »Das ist Erik«, sagte Beate. »Er ist Schreiner und hat meinen begehbaren Kleiderschrank gebaut. Und wenn ich wieder ein bisschen was gespart habe, soll er mir ein Bett schreinern.«
    Erik beugte sich zu mir herunter. Dabei rutschte ihm der riesige Kuhhelm in die Stirn.
    »Wir kennen uns bereits«, sagte ich ziemlich kühl.
    Auch Meister Eder und sein Pumuckl waren alte Bekannte: Jürgen mit Bayernhütchen und Wiebke in Ringelshirt und roter Perücke.
    »Du kennst eine Menge merkwürdiger Leute«, meinte ich zu Beate. Sie fasste es als Kompliment auf. Während Erik seine Hörner zurück in die richtige Position rückte, konnte ich wieder einmal feststellen, dass er sehr breite Schultern hatte, ein Kreuz wie Beates, begehbarer Kleiderschrank. Ich fasste mir an den eigenen Kopf. Mein Helm hatte sich an der Stirn festgesaugt und saß bom-bensicher. Angesichts seines großen Bruders kam er mir jetzt nur noch halb so lächerlich vor. Erik lächelte mir verschwörerisch zu.
    »Das ist aber mal eine originelle Kopfbedeckung«, sagte er.
    »Fertig«, sagte ich zu Hornröschen. »Jetzt kannst du losgehen und wild tanzen.«
    »Woher kennt ihr euch denn?«, wollte Beate wissen, aber ich hatte keine Lust auf Erklärungen.
    Erik half mir auf die Füße und strahlte mich an.
    »Das ist ja der helle Wahnsinn, dass wir uns hier treffen!«
    Beate entfernte sich unauffällig.
    »Und, hat es geklappt?«, fragte ich.
    »Was?« Erik sah ehrlich verwirrt aus.
    »Die kreative Aufarbeitung des Seitensprungs«, half ich ihm auf die Sprünge.
    »Oh, das meinst du!« Erik machte eine längere Pause. »Du musst mich ja für den letzten Trottel halten.«
    Ich konnte nicht umhin, heftig zu nicken.
    »Mit mir und Britt ist es doch längst aus«, sagte Erik. »Sie wohnt doch nur noch bei mir.«
    »Eben«, sagte ich, ließ Erik stehen und flirtete, so heftig ich konnte, mit Beates Bruder.
    Als alle Gäste da waren, spielten wir ein Kennenlern-spiel. Dazu mussten wir uns im Kreis auf den Teppichboden setzen. Erik setzte sich zwischen mich und

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