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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihm?
    Vorsichtig leckte ich an seiner Wange. Sehr weiche Haut hatte der Junge noch.
    »Mh?«, hörte ich ihn leise stöhnen. »Papa?«
    Ich tat das, was am besten hilft in solchen Momenten. Ich schnurrte.
    Ganz langsam hob sich ein verklebtes Lid, und mit einem Auge blinzelte Jehan mich an. Erst schien er mich nicht recht wahrnehmen zu können, doch dann wischte er langsam mit seiner schmutzigen Hand über seine Augen.
    »Katze?«, krächzte er. »Eine Katze?«
    »Mau!«, bestätigte ich ihm diese geistige Höchstleistung der Erkenntnis.
    »Wo bin ich?«
    Ich hätte es ihm gerne gesagt, aber das lag nun mal leider nicht in meiner Macht. Also drückte ich ihm tröstend meinen Kopf an den Arm.
    In dem Augenblick fielen so verschiedene Mosaiksteinchen an die richtigen Plätze, und ich erkannte, was geschehen war.
    Offensichtlich hatte Sivert seinen Plan in die Tat umsetzen und mit Ermine den Jungen in den Wald locken können. Die Hunde, die uns gestern begegnet waren, hatten ihn gejagt, nicht Wildschweine. Aber er war entkommen. Verletzt, erschöpft und verwirrt.
    Unter leisem Stöhnen richtete Jehan sich auf.
    »Katze?«, fragte er noch einmal. »Katze? Eine zutrauliche Katze? Eine Hauskatze?«
    »Mau!«
    »Wohnst du hier in der Nähe?«
    »Mirrrip!«
    Er besah mich eine Weile verwundert, streckte dann vorsichtig die Hand nach mir aus und berührte mich. Ich zuckte nicht zurück, auch wenn er sehr, sehr schmutzig war.
    »Kätzchen, führ mich dorthin, wo du zu Hause bist. Ich habe mich verirrt!«
    »Mau!«
    Er kam langsam und ganz offensichtlich unter Schmerzen auf die Beine und blickte sich um. Ich nahm mein Beutelchen auf und machte einige Schritte in die Richtung, in der das Kloster liegen musste. Die Quelle würde warten müssen.
    Es fiel Jehan noch viel schwerer als mir, sich durch den Sumpf zu kämpfen. Immer wieder sackte er in dem Matsch ein, und zweimal fiel er auf die Knie. Mir wäre auch beinahe der Feenstein entglitten. Doch das eben noch vermiedene Missgeschick brachte mich auf einen Gedanken.
    Der Träger des Amulettes war geschützt und hatte die Kraft, mit aller Unbill fertig zu werden. So hieß es in der Mär, und so hatte Sivert es behauptet.
    Wenn einer Kraft brauchte, um mit den Unbillen des Schicksals fertig zu werden, dann dieser Junge. Ich setzte mich vor ihn hin und starrte ihn auffordernd an.
    »Kätzchen?«
    Mit vollem Mund spricht es sich nicht gut, aber so etwas wie ein gedämpftes »Mrrr!« bekam ich doch heraus.
    »Was schleppst du denn da mit dir herum? Eine Maus?«
    Zumindest beugte er sich neugierig vor.
    »Ein Beutelchen, du kleine Diebin?«
    Ich traute mich nicht, es auf den Boden zu legen, aber als er die Hand ausstreckte, ließ ich es hineinfallen. Er zog das Band auf und fand den Kristall. Unter all dem Schmuddel leuchtete sein zerschrammtes Gesicht plötzlich auf wie die Morgensonne über den Bergen.
    »Ja, geschehen denn wirklich Wunder? Sind Märchen denn wahr? Kätzchen, Kätzchen, ist das das Haar der Fee?«
    »Mau! Mirrrip!«
    Und wirklich, es schien Jehan eine neue Kraft zuschenken. Einen Augenblick noch bewunderte er den schimmernden Stein, dann steckte er ihn zurück in den Beutel und sah mich an.
    »Ich trage ihn eine Weile für dich, Kätzchen. Oder was immer du bist! Wenn wir dein Heim gefunden haben, gebe ich ihn dir zurück. Versprochen!«
    »Mau!«
    Noch einmal bückte Jehan sich, nahm einen knorrigen Ast auf und stützte sich beim Gehen darauf. Ich lief immer einige Schritte vorweg, und nun folgte er mir mit festerem Tritt. Zum Glück konnte ich mich auf mein Heimfindevermögen verlassen. In welcher Richtung das Kloster lag, war mir die ganze Zeit über bewusst gewesen. Der Boden wurde auch besser, und wenn wir auch immer mal wieder eine Pause einlegen mussten, so hatten wir doch bei Anbruch der Dunkelheit die Klostergärten erreicht.
    »Hier ist dein Heim, kleine Katze? Das hätte ich nicht gedacht! Was für ein Glück für mich!«
    Aber ich dachte an Arnoldus und setzte meine Führung unverdrossen fort, schlug auch dann, beharrlich kleine Locklaute ausstoßend, den Weg zu den Obstwiesen ein, als er sich zur Pforte wandte.
    »Nicht hinein?«
    Ich lief zurück zu ihm und maunzte so herrisch wie nur möglich. Kinder verstehen klare Worte einer Mutter, und gehorsam trottete er hinter mir her zur Apfelscheune.
    Es duftete darin nach Stroh und reifen Früchten, und mit Heißhunger fiel Jehan über die Äpfel her. Ich zeigte ihm auch die Ecke, wo hinter den Darren ein

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