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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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in ihren silberhellen Augen standen die Tränen. Das Leid, das das ihre war, ergriff mein Herz, und es zog sich vor Kummer zusammen. Dann aber wurde das Summen des Kristalls kräftiger, der feine, goldene Faden darin begann zu leuchten, wurde hell und heller und verscheuchte die Dunkelheit im Raum. Heiß war er jetzt unter meiner Pfote, doch er verbrannte mich nicht. Seine Wärme floss durch mich hindurch und heilte mein schmerzzerrissenes Herz. Großer Frieden erfülltemich, und unwillkürlich schnurrte ich mit dem Singen des Steines.
     
    »Mirza!«
    Es war nur ein Flüstern.
    »Mirza!«
    Melvinius’ Hand lag auf meinem Rücken.
    »Auch du, Mirza?«
    Vorsichtig zog ich die Pfote von dem Feenstein zurück und gab ein ganz leises, bestätigendes »Mau!« von mir.
    Allmählich verlosch das Leuchten, und Dunkelheit umfing uns, den alten Mann und mich.
    »Woran erinnerst du dich, Mirza? Nach wem sehnst du dich?«
    Ach, wenn ich es dir nur sagen könnte, Melvinius. Aber es war mir nicht gegeben, der Menschen Sprache zu sprechen.
    »Ich habe ein Ziehen und Drängen verspürt, Mirza, als ich den Stein hielt und er zu leuchten begann. Aber ich weiß nicht, wonach. Mirza, ich habe schon einmal in meinem Leben den Rand zum Wahnsinn überschritten. Geschieht das nun wieder?«
    Ich drängte mich an ihn, unfähig zu antworten, unfähig zu trösten. Auch ich hatte nur Fragen, mehr und mehr. Und nur eine ganz, ganz vage Ahnung.
    Er nahm mich in seine Arme, sodass mein Kopf auf seiner Schulter ruhte. Meine Nase berührte die weißen, langen Haare, die in dem Mondlicht, das durch das Fenster fiel, wie gesponnenes Silber leuchteten.
    »Au!«, sagte Melvinius.
    Entschuldigung, ich wollte Euch die Kralle nicht indie Schulter schlagen. Es passierte aus Versehen, als mir dieser ungeheuerliche Gedanke kam.
    Behutsam stupste ich Melvinius meine Nase an den Wange, und er kraulte mich im Nacken.
    »Schon gut, es war nicht so schlimm! Komm, ich habe noch ein Häppchen für dich, und dein Sahneschälchen ist auch gefüllt.«
    Er nahm den Feenstein an sich und brachte mich in sein Schlafgemach, wo im Schein einer Lampe meine Mahlzeit auf mich wartete. Lachs, in einer köstlichen Buttersauce.
    Ich brauchte recht lange, um den wunderbaren Geschmack von meinen Lippen zu lecken.
    Dann zu Bett.
    Hätte ich gewusst, welch unerhörtes Kapitel auf mich wartete – ich wäre nicht wieder aufgewacht!

Ein unerhörtes Kapitel
    Meine Runde durch die Morgenkühle führte mich über die feuchten Obstwiesen an der Apfelscheune vorbei, wo sich mir Diabolo anschloss.
    »Die Mäuse sind nicht schlecht da drinnen. Schmecken fruchtig und haben prächtig Fett angesetzt. Möchtest du eine?«
    Ich sagte nicht nein und stöberte unter den Darren eine Hausmaus auf, die sich an den Früchten förmlich gemästet hatte. Delikat. Ich musste ihm zustimmen.
    »Hab ein paar Reviermarkierungen umgeschrieben«, bemerkte Diabolo lässig, und ich erinnerte mich an einen Kampfschrei in der Nacht.
    »Eine zähe alte Kätzin wohnte hier. Sie zieht jetzt in den Pferdestall. Da ist es im Winter warm genug.«
    Damit hatte er sicher Recht. Die Schmiede mit dem ständig rauchenden Kamin war ja auch in der Nähe.
    Ich trat aus der Scheune wieder in das graue Morgenlicht. Die Tage waren schon ziemlich kurz geworden, und ein erster Anflug von Raureif lag über dem Gras. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, nach einem ruhigen Lager Ausschau zu halten, in das ich mich, wenn es an der Zeit war, ungestört zurückziehen konnte. Das Kloster, so gemütlich es auch bei Melvinius war, erschien mir nicht der richtige Ort zu sein.
    Die Apfelscheune, ehrlich gesagt, auch nicht. Zu häufig wurde sie von Menschen besucht.
    Es zog mich zum Kräutergarten. Diabolo begleitete mich ein Stück, wählte aber dann den Weg zu den Kuhställen, um auch hier sein Revier neu abzustecken. Laus und Wanze würden das nicht unkommentiert hinnehmen, aber um Diabolo machte ich mir deshalb wenig Sorgen.
    Ich fand das Hüttchen unbewohnt, und nach zweimaligem Darumstreichen war ich zu dem Schluss gekommen, hier den richtigen Platz entdeckt zu haben. Es gab keine Fenster, die mit Glas verschlossen waren, noch nicht einmal Läden. Ein Stück Leder hing vor der schmalen Öffnung, das ich leicht zur Seite schieben konnte. Innen roch es nach frischen Holz und getrocknetem Farn. Jemand, wahrscheinlich der Bruder Gärtner, hatte ein einfaches Lager gerichtet und Decken über die Matratze gelegt. Der Herdstein aber war ungenutzt,

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