Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
von Kristallen, Edelsteinen in den erstaunlichsten Farben. Manche gleißen wie Eis, andere schillern wie das Meer in der Abendsonne, in einigen scheinen sich ganze Landschaften zu zeigen oder eigenartige Gewächse. Es gibt blutrote und tiefblaue, grüne und sonnengelbe. Es gibt schwarze, in denen ein verborgenes rotes Feuer lodert oder goldene, die wie Katzenaugen schimmern. Sie alle sind rar, und alles, was selten und oft nur unter Gefahren gefunden wird, verbindet man mit dem Wunderbaren, dem Märchenhaften und manchmal mit dem Himmlischen. Sie sind wertvoll, und weil sie so selten sind, sagt man ihnen auch gerne besondere Kräfte nach.«
»Aber es sind nur Steine, wollt Ihr damit sagen.«
»Es sind besondere Steine. Ich habe jedoch selbst noch keinen in der Hand gehabt, der einen Zauber gewirkt hätte.«
»Auch diesen nicht?«
Melvinius nahm das Amulett aus Jehans Fingern und legte ihn in seine Handfläche. Ich reckte mich, um zu sehen, was geschah.
»Pater!«, hauchte Jehan. »Pater, seht Ihr das nicht? Er strahlt. Er wird ganz hell. Das Gold darin glüht!« »Das Licht spiegelt sich darin.«
Jehan aber wollte es genauer wissen und machte Anstalten, den Stein wieder an sich zu nehmen. Doch als seine Finger ihn berührten, zuckte er zurück. Er war ganz blass geworden.
»Er ist heiß«, stieß er aus.
Melvinius jedoch bemerkte es nicht. Seine Augen waren vollkommen dunkel geworden, und er schien mit seinen Gedanken an einem völlig anderen Ort zu weilen.
»Pater Melvinius!« Jehan zupfte ängstlich an seinem Kuttenärmel. »Pater Melvinius, was ist mit Euch?«
Seine Augen wurden wieder klar, und er lächelte unter seinem weißen Bart.
»Es mag wohl sein, dass eine verborgene Kraft diesem Feenstein innewohnt. Ja, das mag wirklich so sein.«
»Er... er hat mir geholfen, im Wald, als Mirza mich gefunden hat. Ganz bestimmt. Ich fühlte mich, als ich ihn in die Hand nahm, wieder kräftig genug, ihr zu folgen.«
»Dann ist ganz sicher etwas Wahres daran.« »Und mein Vater hat Unrecht.«
»Dein Vater ist ein skeptischer Mann. Er glaubt nur das, was er sehen und begreifen kann. Das ist keine schlechte Einstellung, Jehan. Vergiss nicht, er hat viel erlebt in seinem Leben und dabei sicher manchen Trug entlarvt. Das heißt aber nicht, dass es nicht doch Wunder gibt. Sie sind vermutlich nur ganz anders geartet, als die meisten Menschen es sich vorstellen.«
»Habt Ihr schon Wunder erlebt?«
Melvinius setzte sich wieder in seinen Sessel und strich sich über den Bart. Seine Augen funkelten vor Vergnügen, als er bedächtig nickte.
»Ja, mein junger Freund, das habe ich.« Geschmeidig ließ sich Jehan zu seinen Füßen nieder und sah ihn begierig an.
»Wie erlebt man Wunder?«
»Durch Glauben vielleicht. Aber sicher bin ich mir nicht. Das Wesen der Wunder ist es, dass man sie nicht erklären kann, und wenn man über sie spricht, neigen sie dazu, sich zu verflüchtigen.«
Jehan kaute an seiner Unterlippe, schien aber die Antwort zu akzeptieren.
»Darf ich Euch eine andere Frage stellen, Pater Melvinius? Ich meine, eine persönliche?«, meinte er dann schließlich.
»Nun, wenn sie zu persönlich ist, dann brauche ich sie ja nicht zu beantworten.«
»Richtig.«
»Dann frag, Junge.«
»Warum seid Ihr Mönch geworden?«
Was für eine kluge Frage! Die hatte ich mir auch schon seit einiger Zeit gestellt. Melvinius war nämlich so ganz anders als die übrigen Ordensbrüder. Ich spitzte die Ohren und trat fest mit der Pfote auf meinen Schwanz, der schon wieder vor Neugierde um mich schlug.
»Weil mich, Jehan, das Wesen der Wunder interessierte.«
»Oh!«
»Seit ich ein Junge war, so alt wie du oder sogar
397noch etwas jünger, hatte ich das Bedürfnis, etwas über die Mysterien des Lebens zu erfahren. Jene, die über dieses Wissen zu verfügen schienen, waren die Geistlichen. Sie wussten Geschichten über Wundertaten Jesu und der Heiligen. Sie konnten Wein in Blut und Brot in den Leib Christi verwandeln, mit ihren Gebeten konnten sie den Segen herabrufen und für die Sünder bitten. Ich war fest davon überzeugt, dass sie über geheimes Wissen verfügten. Und so wollte ich daran teilhaben. Meinen Eltern war es recht, und ich trat als junger Mann ins Kloster ein.«
»In die Abtei von Beauport.«
»Ganz richtig. Dort absolvierte ich mein Noviziat
und durchlief meine Ausbildung zum Priester, legte mein Gelübde ab und erhielt meine Weihen.« »Und, habt Ihr das geheime Wissen erworben?« »Ich habe Wissen
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