Die Lautenspielerin - Roman
Musiker?«
»Ich würde ihn den ersten ernsthaften Ballettmeister nennen. Er hat vor einigen Generationen am Hof von Ferrara gearbeitet
und ›De arte saltandi et choreas ducendi‹, eine Anweisung für die Kunst des Springens und einen Chor zu leiten, verfasst. Ein Werk, das meine Vorstellung von Tanz geprägt hat. Hier in Frankreich hatte ich das Glück, in der Königinmutter auf eine Landsmännin und Kunstverständige zu treffen. Katharina de Medici liebt das Ballett und lässt mir alle künstlerische Freiheit. Ich bin davon überzeugt, dass der Tanz allein das Entscheidende ist und der Inhalt sich unterordnen muss. Diese gewaltigen Kostüme, unter denen die Tänzer ersticken! Nein! Der Körper ist das Kunstwerk! Das Spiel der Muskeln, wenn sich der Körper im Einklang mit der Musik bewegt, sie sprechen lässt - wenn Gedanken durch die Bewegung des Tänzers Gestalt annehmen! Das ist meine Vision!« Baldassarino unterstrich seine Worte mit ausdrucksvollen Gesten, und Jeanne begriff, dass hier jemand etwas Neues schuf.
»Aber die Herrschaften sind doch ganz vernarrt in diese festlichen Aufzüge mit den prunkvollen Kostümen«, gab sie zu bedenken.
Der Maestro winkte lächelnd ab. »Ah, ich werde ihnen nicht die geliebten mythologischen Themen vorenthalten, in denen sie sich allzu gern selbst verkörpern. Auch diese königliche Familie tanzt gern selbst und lässt sich dabei bewundern. Natürlich! Aber es wird eben auch ein neues Ballett geben, eine intimere Tanzfläche, auf der sich die Tänzer darstellen und nach meiner Choreographie bewegen. Nicht herumspringen wie die Hupfdohlen! Madonna! Als Erstes habe ich die übergewichtigen Hofschranzen mit der Androhung von ausgiebigen Übungsstunden hinausgeekelt. Ha!«
Der Maestro nickte Jeanne noch einmal zu, legte seine Geige unters Kinn und hob den Bogen. Die Musiker konzentrierten sich auf den ersten, im Dreiachteltakt gehaltenen Tanz. Da auch bei diesem Stück Verzierungen und Improvisationen nicht notiert waren, wurden sie von den Musikern nach Gefühl eingefügt.
Während sie sich der Musik hingab, nahm Jeanne die kraftund kunstvollen Sprünge, Drehungen und ausdrucksstarken Bewegungen der ausschließlich männlichen Tänzer wahr. Maestro Baldassarino durfte wahrlich stolz auf seine Arbeit sein, denn was dort auf dem Parkett innerhalb eines von Zuschauern umstandenen Quadrats dargeboten wurde, hatte nichts mehr mit den höfischen Tanzereien zu tun, die vom Darsteller keine besondere Kunstfertigkeit verlangten. Jeanne konnte die Bewunderung für die neue Kunst in Katharina de Medicis Gesicht lesen. Auch die Miene Anjous spiegelte seine Begeisterung für Tänzer und Musik.
Während sie die Laute absetzte und drei weiteren Geigern Platz machte, die nun zum allgemeinen Tanz aufspielten, fühlte sie sich beobachtet. Sie hob suchend den Blick, sah aber nur gelangweilte, stark geschminkte Höflinge, die sich nebst Damen zum würdevollen danse basse formierten. Der ruhige Tanz erlaubte es auch den Damen in ihren unbequemen Kleidern, sich daran zu beteiligen.
Jeanne wickelte sorgsam ihre Laute ein, hängte sie sich über die Schulter und zwängte sich hinter den Musikern aus der Balustrade.
»Wohin wollt Ihr, Jeanne?«, rief Seraphin und kam verschwitzt zu ihr.
»In den Garten. Ich brauche frische Luft.« In ihrer Nähe standen einige gepuderte Höflinge, die nicht mit anzüglichen Bemerkungen über die aufreizenden Kleider einiger Damen geizten. Wenige Schritte entfernt öffnete sich eine Tür in der Wandverkleidung, und ein älterer Aristokrat, der sich noch die Schamkapsel zuschnürte, trat samt einem Fliegenschwarm heraus. Der Gestank aus dem Abort drang bis zu Jeanne und Seraphin herüber.
Seraphin rümpfte die Nase. »Aber Ihr solltet nicht allein gehen. Ohne bewaffnete Begleitung geht hier niemand allein durch dunkle Gänge. Wenn doch nur Lady Dousabella hier wäre, aber …« Er knetete sich die Unterlippe. »Euer Gatte?«
»Bitte nicht! Ich bin froh, dass er noch nicht bis hierher vorgedrungen ist«, wehrte Jeanne ab.
»Madame, darf ich Euch meinen Schutz anbieten und Euch sicher in den Garten geleiten?«, ertönte unerwartet eine sonore Männerstimme.
Gleichzeitig hoben Jeanne und Seraphin die Köpfe und sahen sich einem stattlichen jungen Adligen gegenüber. Sein festliches Wams war aus kostbarer mitternachtsblauer Seide und mit winzigen Edelsteinen bestickt. Aus einem gut geschnittenen Gesicht musterten sie dunkle Augen, die Interesse, Bewunderung
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