Die Lautenspielerin - Roman
brummte der Arzt und setzte sich auf. »Was ist denn los? Brauchst du mich?«
Hinrik trug noch Degen und Wams, unter dem sein Kettenhemd hervorsah. Sein zerfurchtes Gesicht verhieß nichts Gutes. »Irgendetwas geht vor! Hört ihr es nicht?«
Gerwin horchte in den nächtlichen Palast. »Nichts! Alles ruhig.«
»Eben! Es ist viel zu ruhig! Wo sind die Zecher, die Weiber, die
Würfelspieler? Die Gänge sind wie ausgestorben. Ich habe meine übliche Runde durch den Louvre gemacht und neben den königlichen schweizerische und schottische Wachabteilungen in voller Montur gesehen, wie sie Aufstellung im Hof nahmen. Die Palasttore waren bereits zur achten Stunde verschlossen, sonst sind sie das erst zur zehnten. Einer meiner Leute hat mir eben berichtet, dass die Stadttore verbarrikadiert wurden, sie haben Sperrketten vor die Brücken gehängt, und Bürgerwehren bewachen Plätze und Brücken!« Hinrik trat zum weit geöffneten Fenster.
Hippolyt sprang aus dem Bett und stellte sich neben den Hauptmann. »Das sind Vorbereitungen für einen Kampf.«
Fröstelnd stieg Gerwin in seine Hosen. »Hat Coligny einen Aufstand befohlen? Befehligt Navarra die Soldaten?«
»Nein, mein junger Freund.« Hinriks Stimme war brüchig. »Heinrich liegt mit seiner Frau im Bett und Coligny siechend in seinem Haus. Sie haben die Tore verschlossen, um unsere Soldaten draußen zu halten, während hier das Schlachten beginnt.« Er packte Gerwin an der Schulter und zog ihn ans Fenster. »Hörst du, wie sie die Messer wetzen?«
Von unten waren unterdrückte Rufe zu vernehmen, Pferde, deren Hufe man mit Lappen umwickelt hatte, bewegten sich über das Pflaster, und nachdem Gerwins Ohren für die ungewohnten Geräusche geschärft waren, kroch lähmende Angst in ihm hoch. »Was machen wir jetzt?«
Da läuteten die Glocken von Saint-Germain-l’Auxerrois Sturm, und die Blutnacht von Paris öffnete ihre alles verschlingenden Höllentore.
39
Ich bin der Eingang in die Stadt der Schmerzen,
ich bin der Eingang in das ewige Leid …
Tu, der du eintrittst, alle Hoffnung ab.
Dante Alighieri, »Die Göttliche Komödie«, Dritter Gesang
»Was ist passiert? Brennt es?« Jeanne war durch das dumpfe Dröhnen einer Kirchenglocke erwacht. In das durchdringende Tönen fielen mit Macht alle anderen Kirchenglocken der Stadt ein, so dass die Mauern zu erzittern schienen.
Sie stürzte zum Fenster und sah, wie die Pariser aus den Häusern stürmten. Fackeln wurden hochgehalten, einige Männer trugen blitzende Brustpanzer, und Piken, Hellebarden, Degen und Säbel wurden kampflustig geschwungen.
»Sie greifen die Stadt an!«, schrie Jeanne und rannte auf den Korridor, wo sie Guillemette begegnete, die aus Cosmès Schlafzimmer kam.
Die blonden Haare hingen wirr um ihren üppigen Körper, der sich unter einem dünnen Batisthemd abzeichnete. Die junge Frau begann zu kreischen.
»Hör auf, du dumme Kuh!«, fauchte Jeanne und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
Sofort war Guillemette still und starrte Jeanne mit großen, tränennassen Augen an.
»Geh zu den Kindern und beruhig sie!«, befahl Jeanne, denn die Jungen hatten sich lautstark zu Wort gemeldet. Sie selbst lief zu ihrem Vater, der aufrecht im Bett saß und sich die Ohren zuhielt.
»Vater, wir müssen aufstehen und uns anziehen! Schnell! Kannst du das allein?«, fragte Jeanne und schlug das Laken zurück, doch Endres stieß sie energisch fort.
»Natürlich. Sag mir lieber, was los ist.«
Erleichtert, dass er bei klarem Verstand schien, goss sie Wasser in eine Schüssel und spritzte es sich ins Gesicht. »Wenn ich das wüsste. Zieh dich an, ich bin gleich zurück.«
Aus dem Erdgeschoss hörte sie Cosmès Stimme und rannte die Treppe hinunter. Ihr Mann stand, nur mit einem langen Hemd bekleidet, in der Halle und verteilte Pistolen und Stichwaffen, die sonst an den Wänden hingen. Als er sie sah, rief er: »Kleidet Euch an, in Gottes Namen, oder wollt Ihr sofort vergewaltigt werden?«
»Was ist denn nur los? Stehen die Spanier vor Paris?«
»Ha! Unsere eigenen Landsleute wollen uns an den Kragen! Die Glocken läuten zur Hatz auf uns! Wir sind das Wild, das es zu jagen gilt, und sie werden nicht ruhen, bis unser Blut in Strömen durch die Gassen fließt! Pierre, wenn sie das Tor im Hof nicht halten können, lass alle ins Haus kommen. Verbarrikadiert die Türen mit allem, was ihr findet!«
Entsetzt eilte Jeanne wieder hinauf und zog sich das malvenfarbene Kleid an, mit dem sie vor zwei Tagen aus
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