Die Lazarus-Vendetta
Anspannung in ihm wuchs. Seine Nerven waren fast bis zum Zerreißen gespannt. Mehr als eine halbe Stunde war bereits vergangen, seit Klein versprochen hatte, er würde zurückrufen. Der graue Schein am Himmel im Osten war jetzt schon viel heller.
Das plötzliche Aufbrummen eines Automotors ließ ihn zusammenzucken. Überrascht wirbelte er herum und sah, wie der kleine schwarze Peugeot wegfuhr und sich langsam und vorsichtig durch die tiefen Löcher und Rillen auf dem Waldweg schaukelnd entfernte.
»Ich habe Max und Lewis nach Paris zurückgeschickt«, erklärte Randi. Sie war stumm auf einem Baumstumpf gesessen und hatte ihm beim Auf-und-ab-Tigern zugesehen. »Wir brauchen sie hier nicht mehr, und ich würde gern mehr darüber erfahren, was die französische Polizei in dem, was von der Zentrale der Bewegung noch übrig ist, ausgegraben hat.«
Smith nickte. Das machte Sinn. »Ich glaube …«
Sein Handy vibrierte. Er klappte es auf. »Ja?«
»Sind Sie allein?«, fragte Klein ohne Umschweife. Seine Stimme klang gepresst, beinahe gezwungen.
Jon ließ den Blick über die Lichtung schweifen. Randi saß nur ein paar Meter entfernt. Und Peter war, einem in den vielen Jahren im Einsatz geschärften sechsten Sinn gehorchend, von seinem Nickerchen erwacht. »Nein«, sagte Smith.
»Das ist äußerst unglücklich«, erwiderte Klein. Er zögerte. »Dann müssen Sie sehr vorsichtig sein mit dem, was Sie sagen. Klar?«
»Ja«, sagte Smith leise. »Was haben Sie für mich?«
»Fangen wir mit den Horatiern an«, begann Klein. »Der Name stammt aus einer alten römischen Legende, in der es um ein Trio identischer Drillinge geht, die allein gegen die Krieger einer verfeindeten Stadt in den Kampf zogen. Sie waren berühmt wegen ihres Muts, ihrer Kraft, Behändigkeit und Loyalität.«
»Das trifft den Nagel auf den Kopf«, sagte Smith und dachte an die mörderischen Begegnungen mit den beiden grünäugigen Hünen. Beide Male hatte er verdammtes Glück gehabt, dass er mit dem Leben davongekommen war. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Der Gedanke, dass ein dritter Mann mit denselben Kräften und Fähigkeiten irgendwo dort draußen lauerte, war äußerst beunruhigend.
»Es gibt ein berühmtes Gemälde von einem französischen Maler namens Jacques-Louis David«, fuhr Klein fort, »das der Schwur der Horatier heißt.«
»Und es hängt im Louvre«, sagte Smith und begriff plötzlich, warum der Name alte Erinnerungen geweckt hatte.
»Das ist richtig«, bestätigte Klein.
Smith schüttelte grimmig den Kopf. »Na wunderbar. Unser Freund Lazarus hat also eine Vorliebe für Klassik und einen mehr als skurrilen Sinn für Humor. Aber ich schätze, das hilft uns auch nicht, ihn zu finden.« Er atmete tief durch.
»Konnten Sie eine Übersetzung der letzten Worte von Abrantes bekommen?«
»Ja«, sagte Klein.
»Und?«, fragte Smith ungeduldig. »Was hat er mir zu sagen versucht?«
»Er sagte: ›Die Azoren. Die Insel der Sonne. Santa María.‹«
»Die Azoren?« Smith schüttelte verwundert den Kopf. Die Azoren waren eine kleine von Portugiesen besiedelte Inselgruppe weit draußen im Atlantik, ungefähr auf dem Breitengrad, auf dem auch Lissabon und New York lagen. Vor Jahrhunderten war der Archipel ein strategisch wichtiger Außenposten des längst untergegangenen portugiesischen Reichs gewesen, doch heute lebte er vor allem vom Export von Fleisch- und Molkereiprodukten und vom Tourismus.
»Santa María ist eine der neun Inseln der Azoren«, erklärte Klein. Er seufzte. Fred Klein brauchte gewöhnlich nicht so lang, um auf den Punkt zu kommen.
»Die östliche Hälfte der Insel hat nicht viel zu bieten. Nur ein paar winzige Dörfer, sonst nichts.«
»Und die westliche?«
»Nun, da werden die Verhältnisse komplizierter«, räumte Klein ein. »Wie es scheint, wird ein Teil der westlichen Küste von Santa María von der Nomura PharmaTech als Basis für ihre weltweit operierende medizinische Hilfsorganisation gepachtet, einschließlich einer sehr langen und mit Teerzement befestigten Landebahn, riesigen Hangars und einem ausgedehnten Lagerkomplex für medizinische Versorgungsgüter.«
»Nomura«, murmelte Jon leise und verstand endlich, warum sein Vorgesetzter so bedrückt klang. »Hideo Nomura ist Lazarus. Er hat das Geld, das wissenschaftliche Know-how, die wissenschaftlichen und technischen Einrichtungen und die politischen Verbindungen, so etwas durchzuziehen.«
»So sieht es aus«, stimmte Klein ihm zu. »Aber ich fürchte, das genügt nicht. Niemand
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