Die Lebenskünstlerin (German Edition)
mir niemals ein Zeichen ihrer Zuwendung schenkte.
Auf der Heimfahrt weine ich, frage mich verzweifelt, warum ich immer wieder zu diesem Gruselkabinett fahre. Ich finde keine befriedigende Antwort.
Viel lieber träume ich von einem besseren Leben. Von einem Menschen, der mich liebt. Der nett zu mir ist. Von einem Zuhause, von Zugehörigkeit und Geborgenheit, von einem liebevollen Miteinander.
Vermutlich gibt es das alles gar nicht. Möglicherweise ist das nur eine Wunschvorstellung, die niemals in Erfüllung gehen kann. Weil auf dieser Welt der Einzelne seinen eigenen Zielen nachläuft, um die Anderen zu beeindrucken. Oder beim Scheitern wenigstens Mitleid zu erhaschen, um sich anschließend in Depressionen flüchten zu können.
Mir ist heute Abend unendlich kalt, ich fühle mich absolut alleine, sogar die Träumereien über eine mögliche Beziehung mit Raphael heitern mich nicht auf. Mein Tagebuch muss mal wieder arg herhalten. Anschließend weine ich mein Geschriebenes nass und schlafe darüber ein.
Mit verquollenen Augen schieße ich die Bäckerfiliale auf. Die ersten eiligen Kunden möchten ein belegtes Brötchen mit zur Arbeit nehmen. Konzentriert bin ich wieder in meinem Element, lege das Gewünschte zwischen die Brötchenhälften, mache kleine Scherze und fertige den ersten Ansturm flugs ab.
Felix, ein langjähriger Freund von den anonymen Selbsthilfegruppen kommt vorbei und überredet mich zu einem Waldspaziergang nach Dienstschluss. Ich stimme erfreut über die zu erwartende Ablenkung zu.
Wir wandern zügig den Buchberg hoch, hier bin ich eindeutig die mit der besseren Kondition. Ich philosophiere mit dem schnaufenden Felix über den Sinn des Lebens und der Beziehungen.
Nachdem wir schließlich die Steigungen passiert haben, genießen wir die Aussicht vom Turm. Gestärkt durch einen kleinen, leckeren Imbiss in der Gaststätte dort oben schlendern wir gemütlich den Weg wieder hinunter.
Auf einer geschützten Waldlichtung bleibt Felix stehen, während ich emotional mit lebhafter Gestik und Mimik von meiner bisher erfolglosen Männersuche erzähle. Mein Kumpel sieht mich durchdringend an, hält kurz meine umherschwirrenden Hände fest und sagt mit todernster Miene: „Nimm doch mich, ich wollte dich schon immer, ich liebe dich“.
Erschrocken wimmle ich ihn hysterisch lachend ab und höre seinen weiteren Ausführungen zu, während ich ihn zum schnellen Weiterlaufen bewege.
„Ich kenne einige nette Männer, die alles dafür gäben, um mit dir zusammen zu sein“, behauptet er mit keuchender Stimme. „Aber du bist einfach zu anspruchsvoll.“
Uff, das sitzt. Hat er damit Recht? Soll ich mir darüber ernsthaft Gedanken machen?
Eilig marschiere ich ein paar Schritte voraus. Felix keucht neben mir her. Mein Tempo ist zu schnell für ihn. Trotzdem hält er Schritt. Ich bin total durcheinander. Gefährdet dieses unerwartende Liebesgeständnis unsere Freundschaft?
Gehetzt erreichen wir unseren Ausgangspunkt.
Beim Abschied nimmt er mich vorsichtig in die Arme und meint: „Ich lasse jederzeit alles stehen und liegen, wenn du mich eines Tages doch noch erhören solltest.“
Hilflos und dämlich lachend boxe ich ihm freundschaftlich in die Seite, während ich dem liebestollen Kumpel eine schöne Woche wünsche.
Nein, Felix kommt für mich niemals in Frage, denn er leidet phasenweise unter sehr starken Depressionen. In diesen Zeiten zieht er sich völlig aus dem aktiven Leben zurück. Mag sein, dass es daran liegt, dass er trockener Alkoholiker ist. Diese schwermütige Phasen mit absolutem Rückzug könnte ich niemals mehr aushalten.
Mein Exmann hat sich häufig tagelang in seinem Zimmer eingeschlossen und keinen Menschen an sich heran gelassen. Abgewiesen und ausgeschlossen kam ich mir vor, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein bekanntes, jämmerliches Gefühl.
So etwas will ich nicht mehr. Aber anspruchsvoll, bin ich das wirklich?
Sicherlich stelle ich Ansprüche, das habe ich bei meiner Männerstudie schon festgestellt. Doch so überzogen finde ich meine Wünsche nach längerem Nachdenken gar nicht: Appetitlich, höflich, humorvoll, intelligent und einiges mehr soll der Mann meiner Träume sein. Doch ich biete ja auch einiges, also darf ich auch Ansprüche stellen.
Mein Chefarzt hat auf den Anrufbeantworter gesprochen. Soviel zum Thema Ansprüche. Seine Stimme klingt warm, aber fremd. Beim Rückruf bestätige ich seine Einladung zum gemeinsamen Opernbesuch.
„Was möchtest du gerne
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