Die Lebenskünstlerin (German Edition)
gleiten. Nach seiner eingehenden Musterung sieht er mir direkt und durchdringend in die Augen.
„Ich brauche Arbeit, kein Abenteuer“, zische ich leise und sitze kerzengrade vor ihm.
In mir kocht die blanke Wut. Am Liebsten würde ich ihm eine kleben.
Er lacht blödsinnig, rollt aber ein kleines Stück weg von mir und mustert mich weiterhin ungeniert und demütigend.
Ich bleibe wachsam und kerzengrade sitzen und versuche nicht, meine Brüste aus dem Blickfeld zu ziehen.
Breitbeinig lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und grinst unverschämt.
„Also, was ist, können sie mir einige Vorschläge unterbreiten? Hier ist mein Qualifikationszettel.“
Mein ausgestreckter zittriger Arm hält ihm den betreffenden Zettel direkt unter die Nase.
„Ich meine es ernst, Herr Maiwald.“
Als ich seinen Namen laut und deutlich nenne, den ich an seiner Bürotür gelesen habe, verliert er endlich seine Anzüglichkeit und ergreift die Liste.
Flüchtig sieht er auf das Geschriebene und rollt ohne aufzustehen mit seinem Stuhl wieder hinter den Schreibtisch.
Er greift zum Telefon. Spricht, legt auf, wählt erneut, fragt nach medizinischen Tätigkeitsfeldern, da ich ja auch Medizin und Naturheilkunde studiert habe. Legt wieder auf, denkt kurz nach, telefoniert erneut.
Als er offenbar fertig ist, schreibt er auf einen kleinen gelben Post-it-Zettel eine Telefonnummer und einen Namen. Dann rollt er wieder mit seinem Stuhl in meine Richtung.
„Haben sie etwas für mich gefunden?“ Ich möchte geschäftsmäßig wirken.
„Ja, eine Stelle als Rezeptionistin im Hotel. Sie können sofort dort anfangen“, lächelt er fast sympathisch und erklärt: „Es ist schwierig dort, nicht nur die Arbeitszeiten. Ursprünglich wollten wir diese Stelle nicht mehr vermitteln, da es niemand dort aushält.“
„Ich schon“, behaupte ich überzeugt und stehe auf, murmle ein Danke und eile kopflos die Treppen hinunter.
Draußen, ein paar Straßen weiter, wähle ich gleich die angegebene Nummer und schreibe mir gewissenhaft die Anschrift auf.
Eine Dreiviertelstunde später stehe ich an der Rezeption im Stadthotel in Hanau.
Eine dunkelhaarige Chefin mit drakonischen Gesichtszügen und eine schüchtern wirkende, dickliche und äußerst blasse Angestellte begrüßen mich argwöhnisch. Freundlich beantworte ich all ihre Fragen und bekomme die Arbeits- und Aufgabenbereiche aufgelistet.
Gut aufgelegt fahre ich am späten Abend nach Hause. Morgen fängt meine vom Arbeitsamt bezahlte Probezeit im Hotel an.
Ich habe endlich wieder einen Job. Zwar ist das kleine Hotel mit den knapp hundert Zimmern mit keinem Stern ausgezeichnet, es gleicht eher einem billigen Stundenhotel, als einem renommierten Haus, aber das beeinträchtigt meine Freude über den zu erwartenden Arbeitsvertrag absolut nicht.
Zeitweise arbeite ich jetzt wieder beim Bäcker, der inzwischen einen Teil der Summe überwiesen hat und an der Rezeption. Da ich von den Hotelangestellten die einzige Nicht-Ostdeutsche bin, verstehe ich meist nicht alles, dann frage ich eben nach. Ich schufte richtig hart, weil ich verbissen beschlossen habe, dort längere Zeit zu bleiben.
So jongliere ich zwischen den beiden Jobs, aber durch den Schichtdienst, klappt es immer irgendwie. Durch die viele Arbeit bin ich wunderbar abgelenkt von meinem verkorksten Leben. So verschwindet allmählich der Gedanke an den gefallenen Erzengel Raphael aus meinem Kopf.
Trotz der Hektik finde ich irgendwann wieder Zeit, mich mit einem Kandidaten aus dem Internetforum für einsame Herzen zu treffen. Aufgerüscht sitze ich in der Altstadt von Gelnhausen in einem netten und gemütlichen Café. Vor mir ein ausnehmend attraktiv aussehender Mann. Es wird bestimmt ein fabelhafter Nachmittag.
Doch der gute Ludwig gibt sich direkt nach der verheißungsvollen Begrüßung als Adventist zu erkennen. Angesichts der Tatsache, dass er umwerfend aussieht, ist mir das erst mal egal.
Doch ihm anscheinend nicht.
Er hält mir sogleich einen Vortrag über 28 Glaubenspunkte. Was er so von sich gibt, ist ziemlich monoton und langweilig. Der attraktive Ludwig rezitiert über sein Gottes- und Bibelverständnis, die Rolle Jesu Christi, erklärt die Dreieinigkeit. Besonders die Lehre vom Sabbat hat es ihm angetan.
Ich checke vorsorglich meine Fluchtmöglichkeiten, als er von seiner Gemeinde schwärmt, seinen Lebensstil erläutert und von der Wiederkunft Christi und der neuen Erde
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