Die Lebenskünstlerin (German Edition)
glücklicherweise wirkungsvoll ab und schenken mir dennoch Hoffnung auf ein selbstbestimmtes, erwachsenes Leben.
Heilung bedeutet hier, sich auf die Selbstverantwortung zu besinnen, anstatt wie bisher die eigenen Unzulänglichkeiten irgendwelchen Umständen oder anderen Personen zuzuschieben.
Regelmäßig besuche ich die verschiedensten Gruppen: Die Angehörigen von Alkoholkranken, die Beziehungssüchtigen, die Romanzensüchtigen, die emotional Gestörten, die erwachsenen Kinder sucht- und/oder psychisch kranker Eltern und/oder Erzieher, die Depressiven und einige mehr. Doch trotz dass ich überall liebevoll aufgenommen werde, fühle ich mich innerlich keiner einzigen Gruppe richtig zugehörig.
Dessen ungeachtet melde ich mich mit Carmen und Elena zur Winterfreizeit der Selbsthilfegruppen im Spessart in einer alten Mühle an. Ich weiß, was mich erwartet, denn ich habe schon einige Freizeiten erlebt. Da treffen die mannigfaltigsten Gruppenmitglieder aus den unterschiedlichsten Gegenden zusammen und gestalten gemeinsam ihren Urlaub.
Doch bis dahin dauert es noch einige Monate. Der Job in der Bäckerei wird zunehmend ermüdender. Selbst dazu fehlt mir derzeit die Motivation, zumal es permanent mit der Bezahlung Schwierigkeiten gibt. So beschließe ich zur Arbeitsvermittlung zu gehen, um mich dort über eventuelle Angebote zu informieren.
Das gestaltet sich aber als fast unmöglich. Es gelingt mir nicht, einen kurzfristigen Termin mit einem Berater zu vereinbaren, da das Amt völlig überlastet sei. Da die Bäckerei mit der Bezahlung beträchtlich im Rückstand ist, müsste ich dringend Arbeitslosengeld beantragen. Leider steht mir keines zu, erfahre ich, da die Dauer des letzten angemeldeten Arbeitsverhältnisses zu kurz war. ALG II droht nun.
Mehrmals erscheine ich tapfer und gutwillig mit unüberschaubaren Formularen bei einer hochnäsigen Beraterin. Von ihr werde ich behandelt wie der allerletzte Dreck. So, als wolle ich nicht arbeiten. Als asoziales Pack, als das Letzte vom Letzten fühle ich mich herabgewürdigt. Dass ich einen Job habe, allerdings die Bezahlung ausbleibt, dafür hat die blöde Kuh kein Gehör.
Erniedrigt und gedemütigt gehe ich jedes Mal aus dem Büro. Beobachte im Flur die gesenkten Blicke der peinlich berührten Bittsteller, die im sogenannten sozialen Netz hängen geblieben sind und nun um ihre gesellschaftlich überflüssig gewordene Existenz zappeln. Der Abschaum der Gesellschaft?
Mich wundert absolut nicht mehr, dass viele Menschen kolossale Ängste und Blockaden entwickeln, um sich überhaupt noch mal für eine Stelle zu bewerben oder Probleme haben, in ihrem Leben wieder die Verantwortung zu übernehmen.
In diesen Räumen wird ihr letztes bisschen Selbstachtung kurz und klein geschlagen von inkompetenten, genervten Sadisten, die sich an ihrer Macht weiden, auf der vermeintlich richtigen Seite des Schreibtisches zu sitzen.
Bevor mich dieses System völlig erledigt und ich eines Tages auch mit leerem Blick und gesenktem Haupt mit einer Flasche in der Plastiktüte in der Eingangshalle ausharre, muss ich eine Alternative finden. Die wissen schon, warum hier Sicherheitsleute notwendig sind. Dass hier noch keiner Amok gelaufen ist, fast verwunderlich.
Die zähen Verhandlungen mit der Bäckerei sind gescheitert. Mein Chef sei verhaftet worden, von Insolvenz ist die Rede. Einige meiner Kolleginnen erscheinen nicht mehr zur Arbeit. Nach etlichen Wochen ohne Gehalt gebe ich genervt auf.
Mein Gespartes ist nun mal fast aufgebraucht, deswegen fürchte ich mich vor der drohenden wirtschaftlichen Ungewissheit. Folgendermaßen besuche ich immer und immer wieder das Büro meiner mir zugewiesenen Arbeitsvermittlerin nach langwierigen, telefonischen Anmeldungen mit unzähligen, erfolglosen Bewerbungen in den Händen.
Inzwischen schleppe ich einen vollen Ordner missglückter Bewerbungsschreiben mit mir herum.
Von der Beraterin habe ich bisher noch keinen einzigen Vorschlag bekommen. Eine Umschulung im Metallbereich ist das einzige Angebot, welches sie mir gleichgültig anbietet. Doch selbst dieser für mich absolut ungeeignete Kurs ist am Ende längst ausgebucht.
Eines Tages verblüfft mich ihr Anblick. Das Herablassende und die Hochnäsigkeit sind gewichen, statt dessen sieht sie mich verschämt und etwas ängstlich an. Sofort erregt sie damit mein Mitleid - oder ist es nur Neugier?
„Was ist los?“ frage ich die früher so abgebrühte Emotionskalte. Sie heult als Antwort
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