Die Lebenskünstlerin (German Edition)
ganz normaler Vollmond, doch weil er nur alle zwei bis drei Jahre einmal auftritt, ist er doch etwas Besonderes.
Die einzigen Grenzen bei mystischen Reisen sind wie immer die eigenen. Doch diese Damen hier brennen regelrecht darauf, Antworten auf ihre zuvor gestellten Fragen zu erhalten.
Meine Gäste werden nicht enttäuscht. Wilma bricht in Tränen aus, als sie von ihrer verstorbenen Oma erfährt, dass sie von ihr geliebt wurde. Ein bewegender Moment.
Egal welches Alter, es geht immer um die Anerkennung und Liebe.
Nicoles Schulfreundin starb in jungen Jahren an einem Hirntumor. Seither leidet diese an belastenden Schuldgefühlen. Der Kontakt zu der Verstorbenen wirkt sichtlich erleichternd.
Spät am Abend geht die kleine Gesellschaft ruhig und buchstäblich andächtig nach Hause. Sie bedanken sich ehrfurchtsvoll.
Es war eine anstrengende, aber befriedigende Sitzung.
Kurz darauf plagen mich Zweifel. Diese Arbeit als Medium verneine ich im Nachhinein innerlich. Trotzdem, oder möglicherweise deswegen, gelingt es mir spielend, mit der verborgenen Welt in Kontakt zu treten. Hinreichende Antworten inklusive.
Bevor ich die mystischen Utensilien wegräume, reinige und räuchere ich mein Wohnzimmer gründlich. Die frische Nachtluft tut mir gut.
Nachdenklich sitze ich später auf meinem Balkon in dem großen Sessel und zähle den reichlichen Betrag, den mir diese Séance eingebracht hat. Damit kann ich das Vorhaben, ALG II zu beantragen, noch ein paar Wochen verschieben.
Zwar ist dies schnell verdientes Geld, dennoch kein leicht verdientes. Im Übrigen möchte ich mit dem ganzen spirituellen Kram nichts mehr zu tun haben. Ein wenig pendeln zum Hausgebrauch, mal ein paar Karten legen, OK, aber mehr soll es nicht mehr sein. Pendel oder Tensor sehe ich als Instrumente, um aus meinem Unterbewusstsein verborgene Informationen sichtbar und bewusst zu machen. Das würde selbst meine bodenständige Valentina gerade noch billigen.
Menschen auf spiritueller Suche reflektieren kaum oder gar nicht. Sie wollen Ergebnisse. Sie wollen sich von der Masse abheben, etwas Besonders sein, sich mächtig fühlen. Sie sind schwer einzuschätzen.
Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Geister zu beschwören. Gerade wenn das Publikum so empfänglich für Realitätsverlust und blindem Idealismus ist, wie meine Damen heute. Diese unkritische Folgsamkeit grenzt für mich an Fanatismus. Wie eine Art spirituelle Trunkenheit.
Das kann nicht gesund sein.
Auch die höchsten Meister sind nur unvollkommende Menschen, selbst wenn ihre Lehren göttlich sein mögen.
Dieses Mal habe ich gerade noch die Kurve bekommen, alle etwas zufriedener und gelöster nach Hause geschickt. Es wird kein zweites Treffen geben. Schließlich ließ ich mich sehr unmystisch durch Geld und Schmeicheleien ködern.
Wir leben nun mal in dieser Welt und nicht in der Welt der Verstorbenen. Es kann nicht Sinn des Lebens sein, Geister zu beschwören. Und schon gar nicht meine Berufung. Zudem kann ich nicht mal meiner Therapeutin von diesem Treffen erzählen. Die wäre sicherlich geschockt.
Ich möchte dieser Erfahrung einen Sinn abtrotzen, doch mir fehlt anscheinend noch der nötige Abstand hierzu.
Künstlerglück, groteske Fantasien und ein aufgewühlter Sebastian
Am nächsten Tag packe ich einige meiner gemalten Bilder in den Kofferraum und fahre zu einer Galerie nach Frankfurt. Dort habe ich vor einigen Wochen zwei Bilder hingebracht, welche auch ausgestellt wurden. Vielleicht sind sie inzwischen verkauft und ich kann ein paar neue liefern.
Das wortreiche Getue der dick geschminkten Inhaberin ekelt mich an und recht wortkarg packe ich verschämt meine Bilder und verabschiede mich.
Sie wurden nicht verkauft. Anscheinend noch nicht mal ausgestellt.
Sehr enttäuscht und mit heißen Tränen in den Augen laufe ich zum Parkplatz zurück, als mich ein älterer Herr auf die Bilder in meinen Händen anspricht.
Irritiert und erschrocken tauche ich aus meinen trüben Gedanken wieder auf.
„Dieses hier, das sieht ja toll aus“, schwärmt er und nimmt mir die betreffende Leinwand vorsichtig aus den Händen.
„Das ist ein Feuer, ein überaus lebendiges Feuer“ stellt er richtig fest und begutachtet immer noch eingehend das Acrylgemälde.
„Ist es zu verkaufen?“
Jetzt sehen seine wasserblauen lebhaften Augen mir geradewegs abwartend ins Gesicht. Er sieht sympathisch aus. Mein Bild wäre bei ihm sicherlich gut aufgehoben. In guten Händen, wie ein
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