Die Lebküchnerin
sie drohend.
»Was wollt Ihr denn hier? Ich denke, Ihr seid in Nürnberg«, rutschte es Benedicta heraus.
»So, dachtet Ihr das? Persönliche Gründe, die Euch nichts angehen, haben mich bereits gestern nach Engelthal zurückgeführt, aber das beantwortet meine Frage nicht. Wo ist Dietlinde? Das möchte ich augenblicklich aus Eurem Mund erfahren.« Zornig funkelte die Priorin Benedicta an.
»Sie … sie ist … also, sie hat eine kleine Pause eingelegt und wollte kurz ein Gebet sprechen, bevor sie weiter Lebkuchen backt.«
»Bevor sie weiter Lebkuchen backt?«, gab Priorin Leonore mit einem spöttischen Unterton zurück und heftete den Blick auf den Korb voll süßer Kuchen. Ehe sich’s Benedicta versah, nahm sie sich einen davon.
»Da ich heute Morgen auf das Frühmahl verzichtet habe, kam ich noch gar nicht in den Genuss dieser Fastenspeise, von der alle reden!«
Ohne den Blick von Benedicta zu lassen, biss sie hinein, und kaum hatte sie den Bissen hinuntergeschluckt, fragte sie: »Ihr wollt mir also weismachen, dass diese Rezeptur von Schwester Dietlinde stammt? Und dass sie gar auf den Gedanken gekommen ist, Lebkuchen auf unseren geheiligten Hostien zu backen?« Leonores Stimme bekam etwas Lauerndes.
Benedicta zog es vor, eine Antwort schuldig zu bleiben. Zu lügen, war eine größere Sünde, als einfach zu schweigen. Und so presste sie die Lippen fest aufeinander.
Die Priorin hingegen deutete nun auf Theresa, die wie die anderen Küchenmädchen das überraschende Erscheinen der Vorsteherin voller Entsetzen verfolgte.
»Du, mein Kind, holst Schwester Dietlinde sofort aus ihrer Zelle. Sag ihr nur, sie werde in der Küche gebraucht. Hast du verstanden? Kein Wort, dass ich sie hier erwarte.«
Theresa knickste und schlich mit gesenktem Kopf davon.
»Habt Ihr mir vielleicht etwas zu sagen, bevor es Eure Mitschwester offenbart, die mir sicherlich nicht ins Gesicht zu lügen wagt, Benedicta?«, fragte Leonore nachdrücklich und richtete sich drohend auf.
Benedicta wurde ganz übel vor lauter Sorge. Was, wenn Schwester Dietlinde sich nicht an die Abmachung hielt und sie verriet? Und überhaupt, warum hatte die Priorin sie noch gar nicht gefragt, was sie hier in der Küche suchte? Ahnte sie etwa längst, was gespielt wurde? Benedictas Knie wurden weich, als die Priorin sie abschätzig musterte. »Und nun wollt Ihr mir sicher verraten, was Ihr hier treibt. Da Ihr doch in Eurer Zelle knien und Zwiesprache mit dem Herrn halten solltet.«
Benedicta atmete tief durch, bevor sie mit heiserer Stimme antwortete. »Ich hatte nichts mehr von der Fastenspeise in meiner Kammer, und mir wurde schwarz vor Augen. Da bin ich in die Küche geschlichen, um mir ein paar von Dietlindes Lebkuchen zu holen.«
Nun war es tatsächlich geschehen! Nun hatte sie gelogen. Benedicta war alles andere als wohl in ihrer Haut.
»Ach, wirklich?«, hakte die Priorin mit beißendem Spott nach und reichte Benedicta den Lebkuchen, in den sie soeben gebissen hatte. »Dann bedient Euch, mein armes Kind, Ihr sollt nicht verhungern. Und freut Euch an dem Wappen unseres Klosters, das auf der Unterseite der Oblate prangt.«
Damit hielt sie Benedicta den Lebkuchen fordernd unter die Nase. Die aber hatte die Hände trotzig auf dem Rücken verschränkt. Sie wollte auf keinen Fall einen Bissen nehmen.
»Ich habe gesagt, Ihr sollt einen Bissen zu Euch nehmen! Das war keine Bitte, das war ein Befehl.«
Zögernd griff Benedicta zu und biss lustlos in das Gebäck. Sie verzog keine Miene.
»Nun, wie schmeckt Euch der Lebkuchen?«
Benedicta zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß nicht«, raunte sie kaum hörbar.
»Ach, seid Ihr gar so fromm geworden, dass Ihr keinen Unterschied mehr wahrnehmt zwischen süß und fad, zwischen Gut und Böse, zwischen Gehorsam und Ungehorsam? Und Eure Augen weigern sich, unser Klosterwappen auf der Unterseite des Kuchens zu erkennen?«
Errötend blickte Benedicta zu Boden und schwieg. Daran, dass das Hostieneisen das Zeichen des Klosters Engelthal in die Oblate einprägen würde, daran hatte sie nicht gedacht.
»Und Ihr schmeckt wirklich nichts?«, hakte die Priorin nach.
Benedicta schüttelte den Kopf und betrachtete angestrengt die Spitzen ihrer Schuhe.
»Das ist aber höchst beunruhigend«, fuhr Leonore fort. »Wobei Ihr doch sonst eine überaus feine Zunge habt. Da wundert es mich schon, dass Ihr nicht in Verzückung geratet wie heute Morgen der gesamte Speisesaal. Man berichtete mir, dass es ein Schmatzen und ein
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