Die Lebküchnerin
versuchte. Doch vergeblich. Die Freundin schlief wie ein Bär im Winter. Selbst auf Rippenstöße, die Benedicta ihr versetzte, als sie ganz in der Nähe ein unheimliches Knistern hörte, antwortete sie nur mit einem unwirschen Grunzen.
Benedicta hatte sich längst aufgerichtet und mit dem Rücken an den Baum gelehnt. So saß sie hellwach da, bis endlich der Morgen graute. Sie freute sich schon, dass es immer heller wurde, als ein unheimliches Knacken zu hören war und sie zusammenfuhr. Erschrocken ging sie in die Hocke, um sich besser verteidigen zu können, denn sie wurde das Gefühl nicht los, dass sich ein Raubtier anschlich. Sollte sie schreien und Agnes so lange rütteln, bis sie endlich erwachte? Ihr Mund war jedoch so trocken, dass sie keinen Ton hervorgebracht hätte.
Im gleichen Augenblick spürte sie etwas Heißes und Nasses im Nacken und wagte sich nicht zu rühren. Sie verharrte in der Hocke, bereit, sofort aufzuspringen, sich umzudrehen und mit dem Tier zu kämpfen. Ich darf mich nicht bewegen, sprach sie sich gut zu, selbst dann, als das Ungeheuer ihr auch noch über den Hals leckte.
Benedicta hielt den Atem an. Warum hatte sich das Tier auch von hinten anschleichen müssen? Hilfloser hätte sie sich gar nicht fühlen können. Ihr blieb nichts weiter übrig, als sich still zu verhalten. Und das war in der Hocke gar nicht so einfach. Ob ich mich zur Seite fallen lasse und dann tot stelle?, fragte sie sich, während das Tier ihr noch einmal mit seiner Riesenzunge über den ganzen Nacken fuhr. Ihr liefen kalte Schauer über den Rücken. Gleich wird es zubeißen, befürchtete Benedicta, doch dann schien es von ihr abzulassen. Dennoch versuchte sie, weiter den Atem anzuhalten, als das Tier um sie herumstrich.
Benedicta schloss die Augen. Da versetzte ihr das Ungeheuer einen Stoß mit der Schnauze, sie verlor das Gleichgewicht, kippte zur Seite und blieb reglos liegen. Selbst dann, als ihr das Tier um die Beine schlich und mit seinem Fell an ihrer bloßen Haut entlangstrich, rührte sie sich nicht.
Erst als sich fordernd eine Tatze auf ihren Arm legte, riss sie die Augen auf. In diesem Moment konnte sie sich bereits denken, wer das wilde Tier war, das sie an ihrem Schlafplatz aufgespürt hatte. Als sie ihre Ahnung bestätigt sah, lachte sie vor Erleichterung laut auf und ließ sich auf den Waldboden fallen.
Der Hund sah sie mit schief gelegtem Kopf an, schüttelte sich und schmiegte sich dicht an ihren Körper. Erst als Benedicta ihm versonnen über den Kopf strich, bemerkte sie, dass der Hund aus einer Wunde blutete.
»Du bist ja verletzt! Wir können dich nicht allein im Wald zurücklassen. Jetzt müssen wir nur noch Agnes davon überzeugen, dass du ohne uns …«
»Wovon müsst ihr Agnes überzeugen?«, ertönte eine verschlafene Stimme.
Agnes reckte sich genüsslich, doch als sie den Hund erblickte, hielt sie inne und zeigte verärgert mit dem Finger auf das Tier. »Was will dieses unnütze Vieh denn schon wieder hier? Er kommt nicht mit, und wenn es sich noch so sehr an deine Rockschöße klammert.«
»Agnes, nun hör doch, der Hund ist verletzt. Der Knecht hat ihn blutig geschlagen.«
»Deshalb müssen wir ihn doch nicht mitnehmen.«
Schon war Agnes aufgesprungen, hatte sich drohend vor Benedicta und dem Hund aufgebaut und schwor, sie werde niemals dulden, dass die Freundin dieses stinkende Vieh mit nach Nürnberg schleppe. Und während sie dabei wild mit den Armen herumfuchtelte, stürzte sich der Hund plötzlich vor ihre Füße, schnappte nach etwas und warf es wild in der Luft hin und her.
Agnes schrie auf, aber dann verstummte sie jäh und starrte auf das tote Tier, das der Hund auf den Boden geworfen hatte. Eine grauschwarze Schlange mit einem gezackten Wellenmuster auf dem Rücken.
»Er … er hat mir das Leben gerettet«, stammelte Agnes und streichelte dem Hund gerührt über das dichte Rückenfell. Erst zögernd, dann immer leidenschaftlicher.
»Wenn du es genau nimmst, ist es bereits das zweite Mal«, ergänzte Benedicta schnippisch. »Und zur Belohnung willst du ihn also mit seiner Verletzung hilflos im Wald zurücklassen und sein Schicksal damit besiegeln. Er wird elendig verrecken.«
»Ich habe nie behauptet, dass ich ihn im Wald zurücklassen will«, widersprach ihr Agnes und schob trotzig die Unterlippe vor. »Ich habe nur gesagt, er gehört zu dem hohen Herrn, der mit deinem Julian davongeritten ist.«
»Hoher Herr? Wie kommst du darauf, dass er von hohem Stand
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