Die leere Wiege: Roman (German Edition)
die Blutergüsse auf Roses Schläfe und Wange. »Was ist mir Ihrem Gesicht passiert?«
»Mit meinem Gesicht?« Rose berührte ihre Wange, als wäre ihr die Verletzung gerade erst wieder eingefallen. »Das Übliche. Jemand hat mich ein perverses Schwein genannt.«
»Haben Sie das den Wärtern gemeldet?«
»Sicher doch«, antwortete Rose mit spöttischem Lächeln. »Alle wissen darüber Bescheid.«
Cate schaute auf ihren Notizblock. »Wie man mir gesagt hat, haben Sie den Bericht, den Officer Callahan über Sie geschrieben hat, bereits gesehen. Demnach wissen Sie ja, dass er positiv ausgefallen ist. Officer Callahan bescheinigt Ihnen gutes Benehmen und behauptet, Sie seien beliebt.«
»Beliebt«, schnaubte Rose. »Ich glaube eher, die anderen finden mich nützlich, immerhin kümmere ich mich um die Neuen und sage ihnen, wo’s langgeht. Die Frauen tun mir leid, vor allem jene, die Kinder haben. Ich weiß wenigstens, dass mein Junge in Sicherheit ist.«
»Meinen Sie damit den Himmel?«
»An so was in der Art glaube ich, ja. Tun Sie das nicht?«
»Nein, wohl eher nicht.
»Na, so was. Ich dachte, Gutmenschen wie Sie sind zwangsläufig gläubig.«
»Dieser hier nicht.« Cate beobachtete Rose, doch deren Miene hatte sich verschlossen. »Aber eigentlich wollte ich mit Ihnen über Emma Hatcher sprechen. Gestern war ich bei ihr.«
Ein besorgter Ausdruck trat auf Roses Gesicht, und sie beugte sich vor. »Wie geht es ihr?«
Cate beschloss, ihr Gegenüber nicht zu verschonen. Zudem wollte sie einen Test machen, von dem sie nicht glaubte, dass Rose ihn bestehen würde. »Ihr geht es schlecht, sie ist psychisch angeschlagen.«
Rose senkte den Blick. »Und wie geht es ihrem Mann?« Die Frage klang eher unbeteiligt.
Cate dachte an das Gespräch mit den Hatchers zurück, an den unverkennbaren Zorn des Ehemanns und daran, dass er aufgestanden war, um liebevoll einen Arm um seine Frau zu legen. »Er scheint mir besser damit umzugehen. Aber die Zukunft wird für beide nicht leicht.«
Das neue Baby erwähnte Cate nicht. Sie fand, Rose habe kein Recht, von der Existenz des kleinen Mädchens zu erfahren.
Die Gefangene schaute auf. »Offenbar müssen die beiden noch lernen, das, was geschehen ist, zu akzeptieren.« Ihr Blick war jetzt klar und fest. »Sie sollten erkennen, dass es etwas Größeres gibt als sie selbst. So habe ich mich nach Joels Tod getröstet und mir gesagt, dass er jetzt in einer besseren Welt ist, in der Welt der Geister. Haben Sie schon mal jemanden verloren?«
»Nein, ich musste noch nie einen mir nahestehenden Menschen begraben.«
»Ich spreche nicht nur vom Tod. Wenn man einen Menschen verliert, ganz gleich auf welche Art, stellt man sich darauf ein und lernt damit umzugehen. Ich beispielsweise fühle mich meiner toten Mutter näher als meinem Vater, der noch lebt. Wenn Sie so wollen, habe ich sie beide verloren.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Dasselbe könnte ich über meinen Bruder sagen, obwohl wir uns nie nahestanden. Haben Sie Geschwister?«
»Eine Schwester.«
»Haben Sie ein gutes Verhältnis zu ihr?«
»Früher, als wir Kinder waren, schon. Uns trennen nur fünfzehn Monate.«
»Und wie ist es jetzt?«
»Ich habe schon seit Langem nicht mehr mit ihr gesprochen.«
Cate merkte, dass Rose begonnen hatte, die Gesprächsführung zu übernehmen, und es an der Zeit war, sie wieder auf das eigentliche Thema zurückzuführen. »Aber wir sind ja nicht hier, um über mich zu reden, sondern über Sie.«
»Was möchten Sie von mir wissen?«
Die Wahrheit , dachte Cate. »Sie haben Emma verfolgt und versucht, sie zu beherrschen. Inzwischen habe ich Ihre psychologischen Gutachten erhalten und sehe da durchaus eine Verbindung zu Ihrer Kindheit.« Rose runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. »Ich weiß, dass Sie unter dem Tod Ihrer Mutter gelitten haben und es nicht ertrugen, dass diese Mrs Carron versuchte, Ihren Platz einzunehmen. Aber damals waren Sie ein kleines Kind und konnten nichts dagegen unternehmen. Die einzige Macht, die Sie hatten, war, diese Frau heimlich zu beobachten.«
»Ich mag die Richtung nicht, die unser Gespräch nimmt.«
Cate ging einfach darüber hinweg. »Dann ist Ihre Tante gestorben, die Sie aufgenommen hatte, und obwohl Sie noch sehr jung waren, mussten Sie sich danach allein durchschlagen. Sie haben das Beste daraus gemacht und schließlich Jason kennengelernt. Und dann bekamen Sie Joel, der wenig später starb. Das war der dritte schwere Verlust Ihres
Weitere Kostenlose Bücher