Die leere Wiege: Roman (German Edition)
mir Spaß, die Schmuckstücke zu betrachten, Ringe, Ketten, Ohrringe und Armbänder. Es war ein unschuldiges Vergnügen.
Wenn man Zimmer aufräumt, erfährt man eine Menge über die Bewohner. Mrs Stokes beispielsweise kannte ich ziemlich gut, obwohl wir nie ein Wort miteinander gewechselt hatten. Wenn ich bei ihr für Ordnung sorgte, war sie im Speisesaal und verschlang ein großes englisches Frühstück. Anschließend machte sie sich zu dem Strandkorb auf, den sie gemietet hatte. Das wusste ich von den Postkarten, die zur Hälfte beschrieben auf ihrem Toilettentisch lagen. Auf jeder stand dasselbe. Jeden Sommer kam sie für drei Wochen, hatte jedoch nur zwei Kleider dabei und einen leichten Regenmantel, der durchdringend nach Yardley’s English Lavender roch. Ihre Badewanne war immer trocken, und die Seife blieb in der Verpackung, als sei sie der Ansicht, wenn sie Parfum benutzte, müsste sie sich nicht waschen. Nach eineinhalb Wochen spülte sie ihre Unterhosen im Waschbecken durch und legte sie klatschnass über den Heizkörper, sodass das ganze Wasser auf den Teppich tropfte. Wenn ich die getrocknete Wäsche faltete und in der Schublade verstaute, knisterte sie wie Kartoffelchips. Ich weiß nicht, warum sie sich nicht mehr Unterhosen kaufte, denn sie war keineswegs knapp bei Kasse. In ihrem Koffer hatte sie zweihundert Pfund versteckt, weit mehr, als sie für ihre Postkarten, Tees und Tortenstücke brauchte.
Mrs Stokes las gern, dicke Wälzer entweder mit einer Frau in Reitkleidung oder winzigem Nachthemd vorn auf dem Umschlag. Sobald sie einen Roman ausgelesen hatte, warf sie ihn weg und begann einen neuen. Ich entdeckte die Bücher im Papierkorb, als hätte mir jemand ein Geschenk hinterlassen, doch ich nahm sie erst an mich, nachdem ich meine Arbeit erledigt hatte. Auf diese Weise kam ich zu einer hübschen kleinen Sammlung. Darüber hinaus besaß ich eine Reihe Shampoos und teure Duschgels, die die Gäste zurückgelassen hatten. Einige davon waren noch so gut wie voll.
Ein anderer Gast, den ich gut kennenlernte, war Miss Talisker. Sie blieb immer nur für eine Nacht, buchte ihr Zimmer jedes Mal in der letzten Minute, kam aber stets frühzeitig an. Manchmal war ich noch dabei, das Zimmer von dem vorherigen Gast zu säubern. Miss Talisker hatte nur ein Gepäckstück dabei, einen ledernen Kosmetikkoffer, knallrot und sehr schick. Selbst wenn ich noch am Wischen war, fing sie bereits an, ihn auszupacken. Dann polierte ich den Toilettentisch und sah im Spiegel zu, wie sie den Lippenstift in der goldenen Hülse hervorholte, das silberne Feuerzeug und die Zigarettenpackung, weiß mit lila Karos. Es waren Silk Cut, ihre Lieblingsmarke. Anschließend legte sie ein durchsichtiges kleines Nachthemd aufs Kopfkissen. Mitunter hing an dem Nachthemd noch das Preisschild. Schließlich ging sie nach unten, um auf den Mann zu warten. Es war immer derselbe, und er kam um einiges später an. Wenn sie mit ihm auf ihr Zimmer ging, war ich längst verschwunden. Am nächsten Morgen, während sie beim Frühstück saß, räumte ich die leere Champagnerflasche weg und stellte die Blumen in eine hübsche Vase. Sie nahm sie nie mit nach Hause, was ich für Verschwendung hielt.
Manchmal, wenn ich gut in der Zeit lag, schlüpfte ich kurz in ein Gästebett und schloss die Augen. Miss Taliskers Parfum roch nach Fichtennadeln, aber vielleicht war es auch das Rasierwasser ihres Geliebten. Die Laken dufteten süßlich, wie angebranntes Obst, weshalb ich zu dem Schluss kam, dass Sex so roch. Ich stellte mir vor, es in diesem Bett zu tun, und überlegte, wie es wohl sein würde.
Eines Morgens arbeitete ich mit Hannah zusammen, einem neuen Zimmermädchen. Sie war blass, hatte dunkles Haar und einen Stecker in der Nase. Ich wurde demnächst zwanzig, Hannah war ein paar Jahre jünger. Sie taten uns zusammen, damit ich ihr ein paar Kniffe zeigen konnte. Wir begannen im Zimmer einer Frau, die wir alle Kiki nannten.
Kiki gehörte zu den Stammgästen, denn in der Sommersaison und über Ostern sang sie im Kurpavillon. Natürlich fanden wir sie unglaublich glamourös, schließlich trat sie jeden Abend auf der Bühne auf und rauchte dünne Zigaretten, die sie aus einer cremefarbenen Zinkbox hervorzog. Einmal habe ich so ein Blechkistchen aus dem Abfalleimer gefischt und es jahrelang aufgehoben. Kikis Kleider waren lang und glitzernd. Ich zeigte sie Hannah. Wir zogen ein paar aus dem Schrank und hielten sie uns vor. Hannah war kleiner als ich und
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