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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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noch immer in dem zerrissenen Kleid, und weinte.
    Für einen Moment rang Mrs French um Fassung, doch dann fand sie zu ihrer würdevollen Haltung zurück.
    »Du ziehst dieses Kleid sofort aus, Hannah. Wenn du dein Gesicht gesäubert hast, erwarte ich dich in meinem Büro.«
     
     
    Das, was Hannah getan hatte, musste man Kiki natürlich beichten. Außerdem würde das Hotel für ein neues Kleid aufkommen. Mrs French kündigte Hannah, was blieb ihr auch anderes übrig? Einem Zimmermädchen, das die Kleider der Gäste anprobiert, konnte man nicht trauen. Ich bekannte, Hannah zugesehen zu haben, wie sie das rote Kleid überstreifte, und erklärte, mir sei klar, dass ich Mrs French umgehend hätte herbeirufen müssen.
    »Wahrscheinlich war es dir zu unangenehm, ihr Einhalt zu gebieten«, entgegnete Mrs French.
    »Ja, Mrs French.«
    »Du hast immer einwandfrei gearbeitet, Rose. Seit wann bist du nun schon hier bei uns?«
    »Seit vier Jahren, Mrs French.«
    »Schön. Ich will dir zugutehalten, Rose, dass du mich schließlich doch noch geholt hast. Trotzdem erscheint es mir besser, dich künftig in einem anderen Bereich einzusetzen. Irgendwo, wo dich keine dummen Gänse beeinflussen können, denen irgendwer den Kopf verdreht hat. In der Küche wird gerade jemand gesucht. Ich hoffe, das ist dir recht?«

17.
     
     
     
    Anfangs dachte ich, dass ich mich in der Küche nie zurechtfinden würde, aber nach kurzer Zeit hatte ich mich eingelebt. Der Küchenchef mochte mich. Ich gab nie Widerworte und ging konzentriert meinen Pflichten nach. Ich tratschte nicht, und anders als die anderen, die nie lange blieben, drückte ich mich nie vor der Arbeit. Wenn wer Neues kam, hieß es: »Rose arbeitet hier schon ewig. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an sie.« Ich nahm die Novizen unter meine Fittiche. So bin ich nun einmal. Die anderen kündigten über kurz oder lang, insbesondere die Kellnerinnen waren extrem launenhaft und unzuverlässig. Mitunter verschwanden sie schon, kaum dass ich ihren Namen kannte. Aber diese hübschen, quirligen Mädchen waren sowieso eins wie das andere.
    Nach einer Weile gab ich mein Dienstbotenzimmer auf und mietete mir eine Wohnung. Sie war klein und in der Nähe des Meers gelegen. Wenn ich sie abends betrat, roch ich nach Knoblauch und Bratfett. Die Wohnung war nur eine Straße von dem Haus entfernt, in dem ich mit Tante Rita gelebt hatte. Sie war mein Heim. Alles in allem fand ich mein Leben annehmbar. Meine Tage verliefen einigermaßen ruhig und friedlich, bis meine Welt plötzlich auf den Kopf gestellt wurde, was ein ziemlicher Schock war.
    Ich bin der Meinung, das Schicksal hat uns beide zusammengeführt. Du wolltest gerettet werden, und ich war bereit zu lieben.
     
    Barkeeper müssen immer lächeln. Dein Lächeln wirkte überzeugend, doch ich konnte durch es hindurchsehen. Du hattest das wettergegerbte Gesicht eines Matrosen, gerötete Wangen und eine kräftige Kieferpartie. Dein rotgoldenes Haar ließ sich nicht bändigen. Du machtest einen ungezähmten Eindruck. Kaum jemand würde denken, dass so jemand wie du insgeheim leiden könnte, aber ich wusste es besser. Wie ich schon sagte, Überlebende können den Schmerz eines anderen Überlebenden förmlich riechen.
    Hier und da stahl ich mich aus der Küche, um einen Blick auf dich zu werfen. Wenn du den Gästen den Rücken zukehrtest, war dein Lächeln dahin. Die Leute glauben immer, die Gutaussehenden hätten es leichter im Leben, aber ich war mir sicher, dass es für dich nicht so war.
    Ich beendete meine Schicht und ging quer durch die Empfangshalle des Hotels zu der noch leeren Bar. Du sahst nicht auf. Du warst dabei, ein Glas zu polieren, nein, so intensiv zu reiben, als wolltest du einen Geist heraufbeschwören. Ich fragte mich, was du dir von ihm wünschen würdest.
    »Was darf’s denn sein?«, fragtest du.
    »Ein kleines Glas Apfelwein.«
    Du drehtest den Hahn auf, mit verkrampften Schultern, und die bernsteinfarbene Flüssigkeit lief über den Glasrand. Du wischtest den Rand mit einer Serviette ab und stelltest das Glas vor mich hin.
    »Können Sie es mir bitte auf die Rechnung setzen? Ich gehöre zum Personal.«
    Ich zeigte dir mein Namensschild, und du notiertest meinen Namen. Deine Schultern entspannten sich, denn als du wusstest, dass ich kein zahlender Gast war, musstest du mir nichts vorspielen. Du nahmst das nächste Glas, um es zu polieren, mit flinker Hand. Ich wollte deine Hand festhalten und dich bitten, die Arbeit ruhen zu

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