Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Kammer geführt, wo Lady Eir ihn in einem ausgebeulten weißen Fechtanzug erwartete.
Randur musterte ihre Kleidung und schüttelte den Kopf. »Zunächst mal solltet Ihr etwas Enganliegendes tragen.«
»Ach ja?«, fragte Eir. »Damit Ihr was zu gucken habt?«
»Mylady, ich habe schon Aufregenderes gesehen als eine Frau im Sporttrikot.« Er zuckte die Achseln. »Aber Euer Schwert wird sich in derart weiter Kleidung verfangen.«
»Ich trage meist weite Kleidung. Warum soll ich in Sachen üben, die ich bei einer Attacke nicht trage?«
»Wie Ihr wollt. Jetzt brauchen wir erst mal Schwerter.«
Die Tür krachte auf.
Was ist denn jetzt los?
Zwei Stadtwächter traten ein und verbeugten sich. »Lady Verwalterin, Kanzler Urtica bittet Euch, sofort zu kommen.«
»Worum geht’s denn?«, fragte Eir gereizt.
»Der Kanzler drängt auf einen Feldzug, und dabei ist Eure Anwesenheit im Ratssaal erforderlich.«
»Einen Feldzug?« Sie runzelte die Stirn. »Gegen wen?«
»Gegen Varltung, Mylady. Inzwischen ist bewiesen, dass unsere Nachtgardisten in Dalúk von dort aus angegriffen wurden. Geheimdienstberichte lassen vermuten, dass Varltung nun weitere Angriffe auf die Vasallen des Kaiserreichs vom Zaun brechen wird.«
Randur hörte aufmerksam zu. Würde Varltung wirklich einen Angriff aufs Kaiserreich wagen? Dann wäre seine Heimatinsel Folke das erste Opfer.
»Ich komme.« Sie wandte sich an Randur. »Wir setzen den Unterricht ein andermal fort. Einstweilen erwarten Euch die Waffenschmiede. Wählt Euch aus, was Ihr mögt!«
»Danke!« Er verneigte sich und sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ.
Er ging in den Korridor, kam um die Ecke in eine Säulenhalle und entdeckte ungefähr fünfzig Schritte weiter mehrere teuer gekleidete Frauen, die das Haar nach der neuesten Mode elegant hochgesteckt trugen. Seine Augen strahlten auf, und tausend Möglichkeiten jagten ihm durch den Kopf. Er blieb kurz stehen, um sie aus einer Deckung zu beobachten, die ihn an den Chitinpanzer eines riesigen Insekts gemahnte, den er zunächst für eine Rüstung gehalten hatte, der sich dann aber als an der Wand befestigtes Außenskelett einer bizarren Kreatur erwies, deren Mund noch wie zum Todesschrei geöffnet war.
Es fröstelte Randur, und er musterte stattdessen die Frauen und versuchte, Fetzen ihres Gesprächs aufzuschnappen.
»Er soll viele Jamún besitzen.«
»Ob er für eine Hochzeit infrage kommt?«
»Könntet Ihr ihn denn lieben?«
»Darauf kommt es doch nicht an, oder? Schließlich muss er nicht wissen, was Ihr nebenher laufen habt.«
»Bei Astrid, ich hab schon bessere Männer gesehen … Körperlich hat er nicht viel zu bieten, und ziemlich alt ist er auch … «
»Aber sein Haus ist nicht zu verachten. Ich weiß, dass ich sehr glücklich wäre, darin zu wohnen. Darum solltet Ihr Euch ranhalten … «
Diese geldgierigen Säue.
Randur atmete tief ein, steuerte auf sie zu und wappnete sich mit einigen entzückenden Komplimenten, um sie ihres Geldes zu berauben.
KAPITEL 11
Die Pferde trabten im Rhythmus seines Herzschlags, oder war es umgekehrt? Brynd war nun schon so viele Jahre unterwegs, dass er es nur noch als ungewohnt empfand, das Kaiserreich einmal nicht der Länge und Breite nach zu durchqueren. Er hatte seinen Kameraden auferlegt, die Pferde bis zur Erschöpfung zu reiten und in Weilern und Dörfern nur zu halten, wenn sich die Wildnis als unerwartet bedrohlich erwies. Der Wind war erbarmungslos und brachte schlimmen Graupel. Die wenigen verbliebenen Nachtgardisten erklommen den Hügel, von dem aus man den Hafen Gish übersah. Auf dieser Seite der Insel war die Landschaft öde. Tief hängende Wolken, über denen sich mächtige Cumulusgebirge türmten, berührten den Horizont.
Seiner jüngst getöteten Kameraden wegen starrte Brynd nachts mitunter sein Schwert und den weißhäutigen Mann an, den die Klinge ihm widerspiegelte, und versuchte, sich besser zu verstehen. Womöglich hatte er sich an das Privileg gewöhnt, zu befehlen und eigentlich nie in direkte Kämpfe zu geraten. Er hatte diese Gelegenheit, sich als echter Mann zu beweisen, gewollt – wegen seines ungewöhnlichen Teints und seiner sexuellen Orientierung. Die Leute beurteilten ihn ständig unausgesprochen, und er konnte darauf nur mit Taten reagieren, weil genau dies von ihm erwartet wurde. Und wohin hatten diese Taten ihn gebracht? Viele gute Soldaten und Freunde waren tot.
Vielleicht hatte man auf solchen Reisen einfach zu viel Zeit zum
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