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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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dankbar, dass wenigstens der Leichnam entfernt worden war.
    »Erst Ghuda … jetzt Boll.« Urtica ließ unruhig den Blick schweifen.
    Und du als Nächster? , fragte sich Jeryd angesichts der furchtsamen Miene des Kanzlers.
    »Bitte entschuldigt mich«, sagte Urtica, wandte sich um und eilte den Korridor hinunter.
    »Ziemliches Durcheinander das Ganze«, seufzte Jeryd.
    Tryst trat einen zögernden Schritt auf den Blutfleck zu. »Den sollten wir besser entfernen lassen, ehe wir das Zimmer gründlich untersuchen, oder?«
    »Immer mit der Ruhe. Lass uns vorher einen Blick auf den Tatort werfen.«
    Es dauerte über eine Stunde, bis Jeryd und Tryst jeden Winkel begutachtet hatten. Gewissenhaft sichteten sie alle Bücher und Dokumente des Ratsherrn und wandten sich auch dem vielen Zierrat zu, den er gesammelt hatte. Der Ermittler achtete darauf, den Schwanz stets eingerollt zu halten, um ihn nicht mit dem Blut des Toten zu beschmutzen. Schließlich klopfte er die Wandvertäfelungen noch nach Geheimfächern ab, entdeckte aber nichts Ungewöhnliches.
    Er wollte schon aufgeben, als er auf dem Spiegel einen Fleck bemerkte. Als er mit dem Finger darüberfuhr, trat Tryst neben ihn. »Was habt Ihr entdeckt?«
    »Blaue Farbe«, erwiderte Jeryd überrascht und musterte sie aus der Nähe.
    »Hat er in seiner Freizeit gemalt?«, überlegte Tryst und betrachtete dabei Jeryds Finger.
    »Das bezweifle ich. Es gibt keine Skizzenbücher, und Gemälde hängen hier auch nicht, nur Wandteppiche. Wie aber ist die blaue Farbe dann an seinen Spiegel geraten?«
    »Meint Ihr, das ist wichtig?«
    »Alles kann wichtig sein. Ein guter Ermittler muss sich das stets vor Augen halten.«
    Tryst schritt steif davon, als hätte diese milde Rüge ihn verletzt.
    Doch Jeryd fuhr fort: »Als Ghuda ermordet wurde, waren auf dem Pflaster neben der Leiche ein paar blaue Farbflecke, weißt du noch? Damals nahmen wir an, sie stammten von einem Farbtopf aus der benachbarten Galerie.«
    Tryst stand am Fenster und sah auf die Schneewolken. »Dann hängen die Fälle also zusammen? Eine heiße Spur ist das ja nicht.«
    »Immerhin«, erwiderte Jeryd. »Das ist mehr, als wir bisher hatten. Bei Bohr, diesmal gibt es anscheinend nicht mal mehr einen Leichnam zu untersuchen.«
    Er zog ein Schnupftuch aus der Robe und wischte die blaue Farbe erst vom Spiegel, dann von seinem Finger, faltete das Tuch flink zusammen, schob es in seine Tasche und verließ das Zimmer.
    »Doktor Tarr«, sagte Jeryd, »da bin ich – wie vereinbart.«
    »Guten Tag, Herr Ermittler!« Der Arzt winkte ihn ins Leichenhaus. »Euer Gehilfe begleitet Euch diesmal nicht?«
    »Nein, er hat ein paar Verwaltungsdinge zu erledigen«, gab der Rumel zurück und stampfte auf, um sich den Schnee von den Stiefeln zu schlagen. »Vielleicht hat der Anblick von Bolls Zimmer ihn aus dem Tritt gebracht.«
    »Euch dagegen hat er kaltgelassen, ja?«, fragte Tarr fröhlich.
    »Das nicht.« Jeryd lachte heiser. »Aber vermutlich habe ich mich im Laufe der Jahre an solche Dinge gewöhnt.«
    Sie begaben sich weit in Tarrs Wirkungsstätte hinein. Eine einzelne Laterne erleuchtete den Raum nur notdürftig, und als der Arzt die Tür hinter sich schloss, flackerte ihre Ölflamme. Jeryd merkte, dass ihn Tarrs Besuch im Saal des Lebens noch immer beschäftigte. Warum machte sich jemand, der den Umgang mit dem Tod so gewohnt war, überhaupt die Mühe, dorthin zu gehen? Der Doktor hatte ganz offenkundig intensiv nach seiner Seele geforscht, als Jeryd ihn dort entdeckt hatte. Vielleicht steckte also mehr hinter Tarr, als dessen oberflächliches Verhalten nahelegte.
    Der Arzt führte ihn zu einem Tisch, dessen Metallplatte zwei auf drei Armlängen maß.
    »Was haben wir hier?«, wollte der Ermittler wissen.
    »Das ist er.« Tarr wies auf das, was auf der Platte lag. »Das ist Ratsherr Boll.«
    Selbst Jeryd war verblüfft. In den Jahrzehnten seiner Arbeit für die Inquisition war ihm keine so schrecklich zugerichtete Leiche untergekommen. Er hatte Foltertote gesehen, Opfer gnadenloser Gefechte und langsam zehrender Gifte, aber nie etwas Derartiges.
    Am einen Ende der Platte lagen die Knochen des Ratsherrn (falls sie nicht in fingergroße Stücke zermalmt worden waren), am anderen Ende das »Fleisch« – ein grausiger rosafarbener und roter Haufen, wie man ihn in der Gosse eines Schlachthofs zu sehen bekommen mag. Der Gestank war durchdringend.
    »Wie war das möglich?«, fragte Jeryd eingeschüchtert.
    »Mit einer Axt und viel Zeit«,

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