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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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gewöhnen uns daran, dem Leben Vorschriften zu machen. Aber wie auch immer: Das hier ist eine Flaraor-Falte , was sich wörtlich mit ›falsche Welt‹ übersetzen lässt.«
    »Für mich sieht das nach einer Kristallkugel aus«, murmelte Jeryd, der den Gegenstand noch immer beobachtete.
    »Eine Kristallkugel ist das auch«, gackerte Bellis, und ihr Lachen hätte das Glas beinahe zerspringen lassen.
    »Und was kann das Ding?«
    »Schaut genauer hin! Was Ihr seht, ist nicht wirklich. Wenn Ihr Eure Ängste loswerden wollt, berührt es einfach. Na los!«
    Jeryd gab nach und bewegte seine Linke auf die
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    zu. Plötzlich jagte er durch grelle Sturmwolken und war woanders.
    Wärme? Die Umgebung nahm Gestalt an, und er stellte fest, dass er in einer Nachbildung seines früheren Hauses in Villjamur war – in seinem unaufgeräumten Schlafzimmer, um genau zu sein – , doch alles war hell, zu hell. Milchiges Licht fiel durch die Fenster, und die Sonne draußen war dunstig und zu gelb. Doch als seine Augen sich an die Helligkeit zu gewöhnen begannen, wirkte alles schon realistischer.
    Bellis’ Stimme drang aus der Ferne oder aus seinem Kopf oder von innen und außen zu ihm.
    Denkt daran: Das ist nur eine Vision, eine wiedererschaffene Welt – all dies ist nicht wirklich!
    Was soll ich tun? , fragte Jeryd.
    Geht herum oder setzt Euch und entspannt! Genießt es!
    Ihr habt leicht reden.
    Jeryd ließ sich auf dem vertrauten Laken nieder. Es war frisch gestärkt und sauber, und in der Luft hing ein Hauch von Marysas Parfüm. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Whisky. Erfreut stellte er fest, dass er sich einige seiner Lieblingsdinge ausmalte.
    Fühlt Ihr Euch wohl?
    Durchaus.
    Gleich wird etwas geschehen, doch Euch muss klar sein, dass es sich nur um eine Vision handelt – eine Vision, die ich kontrolliere.
    Gut …
    Ein Bild nahm zitternd Gestalt an. Jeryd erstarrte. Da saß sie am Fuß seines Bettes in einem Glaskasten: eine faustgroße Spinne. Die üblichen Gefühle bestürmten ihn, und er spürte sie wieder im Herzen, nicht nur in der Brust: eine überwältigende Enge, als ob er rettungslos in der Falle säße. Äußerste Atemnot. Er kniff die Augen zu.
    Seht Euch die Spinne immer weiter an, ja? Sie kann Euch kein Leid zufügen, dummmer Jeryd. Sie kann nicht aus ihrem Kasten – und sie ist noch nicht mal wirklich. Sie ist bloß eine Vision.
    Ich weiß, aber …
    Kein Aber! Konzentriert Euch, wenn Ihr Eure Angst loswerden wollt!
    Seufzend öffnete Jeryd die Augen und betrachtete die Spinne. Zwar war sie nicht gerade groß, schien ihn aber von unten ebenso lauernd wie höhnisch anzuschauen. Jeryds Schwanz stand ganz still da, und das Herz klopfte ihm im Hals.
    Bellis gab von fern Anweisungen, und Jeryd gehorchte widerstrebend. Manchmal klangen ihre Worte verschliffen, als könnte er sie nicht deutlich hören, doch er spürte, dass sie aus seinem Kopf kamen. Sie befahl ihm, durchs Zimmer zu gehen. Sie bat ihn, in den Glaskasten zu sehen. Sie wies ihn an, die Linke ans Glas zu legen. Sie drängte ihn zu einer Reihe von Handlungen, die ewig zu dauern schienen und frustrierend, ja mitunter albern waren. Erneut arbeiteten ihre Worte in seinem Schädel.
    Ein-, zweimal hatte er plötzlich vergessene Kindheitserinnerungen vor Augen: wie seine Mutter völlig verängstigt auf einem Stuhl stand, während eine große Spinne durch die Küche huschte; wie sein Vater betrunken hereingetaumelt kam, um das Tier mit einem Buch zu erschlagen.
    Jeryd tat, wie ihm geheißen, und stellte erstaunt fest, dass er am Ende nicht mehr so gelähmt war wie anfangs. Dabei half natürlich das Wissen, dass die Spinne nicht wirklich war, sondern eine Vision, gefangen in einer simulierten Welt. Während des Rituals erklärte Bellis ihm fortwährend ihre geheimen Theorien über die Natur der Angst. Was sie sagte, würde er sofort vergessen, wenn die Sitzung und ihre Trance vorbei wären, und doch würde es in seinem Unterbewusstsein fortwirken. Er wusste nicht, was er mit alldem anfangen sollte, und plötzlich saß –
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    wieder in Villiren im Café und umklammerte den Kasten, als gäbe es ihn wirklich und als hielte er ihn sich mit der Spinne darin direkt vors Gesicht – und nun hatte er so gut wie keine Panik mehr. Sein Herz schlug fast regelmäßig, und er war völlig überrascht. Bellis saß nur da, trank ihren Tee und lächelte zufrieden. »Das Bewusstsein«, verkündete sie, »ist sehr mächtig. Angst ist nur ein

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