Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
war weiß und strähnig, das Gesicht breit, aber ausgemergelt. Ihre Augen musterten ihn stechend, ihr Blick drang zwischen tiefen Falten und Runzeln hervor.
»Willst du diesmal einen anderen Trank?«
»Ich suche etwas Kräftigeres.«
Sycorax ließ ihn ächzend ein und führte ihn über den kalten, dunklen Flur in die Küche.
»Sie hat mich verlassen, dieses Miststück.« Er erzählte von seiner schlimmen Lage, und die Hexe musterte ihn wie stets, schwieg und bemühte sich, zwischen den Zeilen zu lesen.
»Nimm die Maske ab! Ich bin gleich zurück.« Sie machte sich da und dort im Haus zu schaffen und trällerte vor sich hin. Derweil saß er in einem Sessel und fühlte sich elend.
Schließlich kam sie mit einem aufgeschlagenen Buch zurück und überflog die Seiten, während sie mit ihm sprach. »Du willst also, dass sie ausgelöscht wird?«
Er überlegte kurz, ob sich ihre Beziehung erneuern oder anders aufbauen ließe, doch er durfte nicht riskieren, dass die Jungs von ihrer Trennung erfuhren, denn dann wäre er für sie doch gewiss eine Witzfigur: ein Mann, dem die Frau durchgebrannt war.
»Und ob«, brummte er schließlich.
»Und das kannst du nicht selbst erledigen?«
»Ich weiß nicht, wo sie hingegangen ist.«
»Wie du willst«, erwiderte sie. »Ich tüftele seit Jahren an etwas, das ich aber noch nie ausprobiert habe. Natürlich brauche ich ein paar Habseligkeiten von ihr. Besorg mir vor allem drei, vier ihrer abscheulichen Relikte!«
»Was hast du vor?«
»Bring mir einfach was aus ihrem Besitz und gib mir bei dieser Gelegenheit auch ein, zwei Dinge von dir!«
Malum schlich hinaus in die Nacht und fragte sich, was Sycorax plante. Mehrfach hatte er sie bei Besuchen mit einem seltsamen, sich spasmisch windenden Ding angetroffen, war aber klug genug gewesen, sie nicht danach zu fragen. Sie war eine Legende des Untergrunds, ein Wesen aus einer ganz anderen Zeit, und die Leute flüsterten ihren Namen voller Furcht.
Zweifellos war sie hocherfreut über diese Gelegenheit, eine neu entwickelte Geißel auszuprobieren.
Er kämpfte sich durch eisigen Wind und klammen Seenebel nach Hause. Beami hatte erst begonnen, ihre Sachen mitzunehmen – er wusste nicht genau, was, hatte aber den Eindruck, einiges fehlte. Zunächst begab er sich ins Schlafzimmer und nahm eine ihrer Kniehosen und einen langen Rock, den sie seit Ausbruch der Eiszeit nicht getragen hatte. Noch immer wie trunken vor Enttäuschung, stieg er in ihre Werkstatt runter. Seltsamerweise wusste er nicht, wann er sich zuletzt dort aufgehalten hatte. Das war immer Beamis Bereich gewesen. An den Wänden hingen Blätter voll abseitiger Notizen und Skizzen; Karten fremder Regionen, die bei genauem Hinsehen Darstellungen der bekannten Welt in anderen Dimensionen waren; anatomische Zeichnungen von Rumeln; Gleichungen mit Symbolen, die Malum kaum identifizieren, geschweige denn verstehen konnte.
Schnapp dir einfach was von ihrem Kram und geh!
In der Nähe stand ein kegelartiges Relikt, aus dem Drähte ragten. Erst berührte er es mit Ehrfurcht wie einen geschätzten, ja heiligen Gegenstand oder als könnte es ihm in den Händen explodieren. Doch das tat es nicht – es blieb einfach kalt und untätig, und so steckte er es ein und ging.
»Gut. Sehr gut.« Sycorax drehte das Relikt hin und her und spuckte auf den Boden, um ihren Abscheu zum Ausdruck zu bringen.
Er beobachtete sie halb amüsiert, halb neugierig. Sie stank nach einer ihm unbekannten Räucherstäbchensorte.
»Ich brauche zwei, drei Stunden Vorbereitung«, sagte sie, »und möchte nicht, dass du mir dabei zusiehst.«
»Wenn ich gehen soll, geh ich.«
»Bleib nur! Du bist heute sehr gereizt und könntest etwas Unbedachtes tun, das deine Anhänger oder dich in Gefahr bringt.«
Du altes Weib! Ich kann sehr wohl auf mich aufpassen . »Deine Sorge um mein Wohlergehen treibt mir Krokodilstränen in die Augen.«
Er war eingeschlafen, erinnerte sich aber, davor geweint zu haben. Mit trübem Blick sah er Sycorax die Tür hinter sich schließen. Auf ihren Lippen lag ein grausiges Lächeln, und auf ihren Wangen prangten Blutspritzer.
»Ich bin fertig mit den Vorbereitungen«, erklärte sie. »Drei Stunden hat mich das gekostet. Drei Stunden! Und bei jedem Schritt haben sich meine Bücher und Theorien als richtig erwiesen.«
»Wie meinst du das?« Er musterte sie vorsichtig. Von irgendwo war ein schwaches Knurren zu hören. Dreistimmig? Es war zu dunkel, um viel von dem zu begreifen, was
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