Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
geschickt.«
»Aber wie kann eine Frau etwas erreichen? Ihr seid zwar eine sehr gute Schwertkämpferin – aber gegen ganze Armeen?«
Artemisia schien diese Frage kein Kopfzerbrechen zu bereiten. »Gut möglich, dass ich ihr Empfindungsvermögen ausschalten kann, denn damit verständigen sich eure neuen Feinde. Das Tor, durch das sie in eure Welt gekommen sind, ist ein riesiges Kommunikationsinstrument, das verschiedene einfache Signale aussendet. Ohne diese Verbindung kämpfen sie erheblich schlechter. Der Rest mag zugegebenermaßen von euren Armeen abhängen. Ich bin keine Göttin, aber ich kann nutzen, was in diesem Schiff an Wissen steckt.«
»Wir haben Kultisten –«, begann Randur.
»Eure Kultisten«, unterbrach ihn Artemisia, »flattern ständig durch den Archipel, als wüssten sie etwas. Ich kann euch eins sagen: Sie wissen nichts .«
KAPITEL 43
W egen der bevorstehenden Invasion verlief das Treffen der Kultisten mit dem Kommandeur turbulent und sprunghaft, und es gab sehr viele Fragen und Hilfsersuchen.
Beim Besprechen der Einzelheiten bemerkte Beami, wie quälend lange der Albino über jede Aussage brütete und dabei mit feinen Fingern auf die Tischplatte trommelte, als wollte er das Schweigen vertiefen. Sie wünschte sich ein Relikt, um die Zeit still zu stellen und so die Dinge rascher erledigt zu bekommen. Wie erwartet, erwies Kommandeur Lathraea sich als nicht hilfreich. Doch die Armee würde alles kontrollieren und jedes Vorgehen vorschreiben.
Die Armee hier, die Armee da.
Zur Notfalleinheit gehörten acht weitere Kultisten – sieben Männer und nur eine Frau. Sie alle stammten aus recht unbedeutenden Orden, und von zweien dieser Gemeinschaften hatte Beami nicht einmal gehört. Alle aber waren hochmotiviert, wenn auch nicht völlig kompetent.
Zwei Männer waren schon recht alt, und der eine hatte graue Haare, der andere eine Glatze. Sofort spürte Beami, dass die beiden trotz ihres offenkundigen Unwillens, die Kriegsgefahr allzu ernst zu nehmen, mächtig waren. Sie nannten ihre Namen, besser gesagt: Der eine nannte beider Namen – Abaris und Ramon.
Ramons Intensität hatte etwas Psychopathisches, und das Schimmern der hellen Augen erweckte den Eindruck, er könne zwar freundlich sein, einem im nächsten Moment aber die Kehle durchschneiden. Untersetzt und mit schweißglänzender Glatze, stank er nach altem Mann und schlechter Magie. Sein dicklicher, einen Schnauzbart tragender Kollege Abaris sprach für ihn mit. Nur wenn alle schwiegen, fiel Beami auf, dass Ramon ein blaues und ein braunes Auge besaß.
Abaris wagte eine kleine, aber dreiste Behauptung: »Gut möglich, dass wir mit den Toten etwas anstellen können.«
Er spazierte mit den Fingern über die Tischplatte, als wollte er auf ihre Absichten hindeuten.
Totenbeschwörung … beschäftigen sie sich etwa damit?
Und inwiefern sollte das eine Hilfe sein? Beami hatte von solchen Leuten nie gehört, doch Ordensmitglieder mit Vorliebe für das Makabre neigten auch dazu, sich zu isolieren.
»Fein«, erwiderte sie der seltsam unbeschwerten Gestalt namens Abaris, »aber wie wäre es, erst mal die Feinde zu töten?«
»Mädchen, wir brauchen etwas Zeit, bevor wir die Sache steigen lassen können. Und dann … «
Ramon grinste nur, doch Beami bemerkte die Falten in seinem Gesicht – deutliche Zeichen jahrelangen und beinahe glückseligen Leids. Die ungemeine Heiterkeit der zwei ängstigte Beami, und das Selbstvertrauen der beiden drohte sie zu überwältigen.
Das Gespräch sprang zwischen dem Kommandeur und den Kultisten hin und her. Beami wollte nicht, dass ihre Kollegen als bloße Waffen galten. Sie waren Leute, die sorgfältig nachdachten und handelten und Relikte mit verheerenden Folgen einsetzen konnten, falls man ihnen diese Freiheit gewährte.
Oft störten Boten die Besprechung und brachten neueste Lagemeldungen zum Näherkommen der Invasionsflotte. Kaum waren sie gegangen, erschien die Stimmung noch düsterer – als hätten sie einen Todesfall im Familienkreis gemeldet. Und wie viele Tausend solcher Toten würde es bald zu beklagen geben! Unübersehbar spiegelte die Miene des Albinos den wachsenden Druck. Häufig stand er auf und ging im Zimmer umher, als wäre niemand zugegen. Mitunter sah er Ramon in die Augen, der makaber zurücklächelte.
Als Beami aus dem Fenster spähte, ob die Feinde schon angesegelt kamen, glitt ihr Blick über den Hafen und die vorderen Befestigungsanlagen, über improvisierte Barrikaden und
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