Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
machte ihm eigentlich nicht mehr zu schaffen.
»Wie hast du mich gefunden?«
»Das ist für jemanden wie mich nicht schwer. Du hinterlässt überall jede Menge Spuren.«
»Sogar jetzt, wo die Stadt in diesem Zustand ist?« Er wies halbherzig auf die Trümmer, doch sie schwieg, was ihn letztlich zu der Frage provozierte: »Was willst du, Beami?«
»Mir war nicht klar, worüber du alles gebietest. Ich wusste zwar, dass du viele Geschäftsinteressen und bisweilen Auseinandersetzungen hast, aber all diese brutalen Männer –«
»Was willst du?« Er mochte sie nicht ansehen, damit sie keine Gelegenheit bekam, ihn erneut zu umgarnen.
»Magst du deine Maske nicht abnehmen?«
Er dachte kurz nach. »Nein.«
»Gut. Ich wollte noch mal in unser Haus, denn da hatte ich etwas liegen lassen, doch das Gebäude ist leer. Wo hast du all unsere Sachen hingeschafft?«
»Es waren fast nur meine Sachen.«
»Hab dich nicht so … «
»Was geht dich mein Eigentum an?« Nun musste er sich doch umdrehen, aber die schwarze Kapuze gab kaum Umrisse ihres Gesichts preis. Ansonsten war ihre Kleidung dunkel und eng anliegend und vermittelte den Eindruck, dass sie von den Kämpfen der letzten Tage allerlei mitbekommen hatte. Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte.
Auf der Schwelle hinter ihr standen mehrere seiner Männer, doch er schickte sie mit einer Handbewegung fort.
»Du hast jedes Recht, mich zu hassen«, sagte Beami.
Das tat er und tat es doch nicht, denn eigentlich war sie ihm gleichgültig geworden, und das sagte er ihr auch.
»Das ist gut, denn auch ich bin nicht wütend auf dich und möchte, dass du das weißt.«
»Mich wundert, dass du die Stadt nicht verlassen hast.«
»Ich leiste meinen Beitrag zum Wohl des Kaiserreichs«, gab Beami zurück. »Zu Beginn der Invasion habe ich mehrere Hundert Okun getötet.« Dann setzte sie hinzu: »Das erscheint mir inzwischen ewig her.«
»Beeindruckend«, murmelte er und war auf diese Leistung eifersüchtiger als auf den anderen Mann in ihrem Leben.
»Malum, ich brauche ein Relikt, das ich zurücklassen musste. Kannst du mir sagen, wo ich es finde? Ich verstehe ja, dass du nicht mit mir zusammenarbeiten willst –«
»Vermutlich in dem unterirdischen Gewölbe, in dem wir verwahren, was bei den Fischzügen der Gang zusammenkommt.«
»Du hast es also nicht zerstört?«
Darauf schwieg er nur. Was hätte er auch anderes sagen sollen, als dass er sie furchtbar geliebt und sich ihrer Sachen darum natürlich nicht einfach entledigt hatte. Doch er brachte es nicht über sich, sie das wissen zu lassen, und zog es vor, sein Ego zu wahren. Seine Maske und das, was von seiner Vernunft noch vorhanden war, sollten intakt bleiben.
»Kannst du mir zeigen, wo dieses Gewölbe ist?«, fragte Beami. »Ich muss das wissen, Malum – es ist dringend.«
»Nein«, sagte er und hörte sie nach Luft schnappen. »Aber ein anderer kann das tun.«
»Danke, Malum! Vielen, vielen Dank!«
Rührende Töne plötzlich . »Was soll’s. Aber klau nichts, was nicht dir gehört.« Das sollte vermutlich ein Witz sein.
Sie trat vor, umarmte ihn und flüsterte: »Es tut mir alles so leid.« Dann machte sie wieder einen Schritt zurück, doch er spürte, dass sie ihn noch immer musterte.
»Du hast dich verändert«, stellte sie fest. »Es wäre dir inzwischen sogar egal zu sterben, nicht wahr?«
»Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Beami«, sagte Malum und schnippte den aufgerauchten Glimmstängel durchs Fenster. Als sie ging, nahm sie alles Menschliche mit, was ihm noch geblieben war. Nun brauchte er sich nicht mehr vor sich zu verstecken. Nimm dich mit offenen Armen an!
Der Junge war höchstens dreizehn, vierzehn Jahre alt. Sein blondes Haar war modisch glatt frisiert, und seine Maske erschien wie eine Parodie der Wut. Beami folgte ihm durch einen Teil des Untergrunds, den Malum beherrscht hatte, und durchschritt auf ihrem Weg gusseiserne Gitter und Zäune, die plötzlich auftauchten. All diese Gänge schienen nicht von Menschenhand errichtet. Sie kamen an reich geschmückten Schmiedearbeiten vorbei und bogen immer wieder in seltsamen Winkeln ab, bis Beami den Eindruck hatte, den Weg wieder zurückzugehen, den sie gerade gekommen waren. Ab und an erreichten sie eine unterirdische Siedlung; ein Nebeneinander heruntergekommener Ladenfronten und Kneipen, vor denen kaputte Stühle herumstanden, die kürzlich wohl noch benutzt worden waren. Des Krieges wegen waren auch diese Siedlungen – wie die
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