Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Nachtgardisten eilig durch den Schnee getrabt.
Brynd hatte das Ohr an der Mauer, um sein magisch verfeinertes Gehör optimal zu nutzen, und vernahm diffuses Schlurfen, das von Ratten herrühren mochte, aber auch ein Stöhnen, das ihm als schmerzliches Klagen erschien.
Waren sie das?
Die Spinne huschte an ihm vorbei und krabbelte rasch die Mauer hinauf. Mit großen Augen sahen die Soldaten zu, wie sie senkrecht aufstieg und mühelos das Dach betrat.
Auf ein erneutes Handzeichen hin schlich die Nachtgarde die Mauer entlang und suchte nach Eingängen. Auch die Rumel-Freischärler kamen durch den Schnee und gaben ihnen Deckung. Jeryd stand mit gezückter Armbrust ganz vorn und hatte die andere Hand erhoben, um seine Leute zur Vorsicht zu mahnen. Ihr lautloses Anschleichen entsprach der unheimlichen Stille der vom Krieg gebeutelten Stadt bei Nacht.
Brynd entdeckte eine geeignete Stelle, ins Gebäude einzudringen, und bedeutete seinen drei Begleitern, ihm zu folgen. Er gab den Gardisten weiter hinten mit einem knappen Pfiff Bescheid, stieß die Eisentür auf und trat ein. Lupus wollte ihm mit eingelegtem Pfeil folgen, als ein kleiner Trupp rothäutiger Rumel auf die Hauptstraße marschiert kam. Sie bemerkten die im Halbdunkel kauernden Nachtgardisten nicht, sondern konzentrierten sich auf die Freischärler, die mit wildem Gebrüll auf sie zurannten. Die Feinde verschossen Pfeile, und die Freischärler feuerten ihre Armbrüste ab. Auf beiden Seiten waren schon zwei Rumel gefallen, ehe Lupus in rascher Folge drei Rothäute niederstreckte. Der Rest zog sich zurück, ehe die Begegnung zum Nahkampf werden konnte.
Brynd bedeutete Smoke, die Rothäute zu erledigen, damit sie nicht flohen und Verstärkung holten.
Dann hetzte er zu den auf der Straße Gefallenen.
Vier Freischärler umstanden Jeryd, der mit zwei Pfeilen im Gesicht und einem in der Brust rücklings im Schnee lag.
Auch du, Jeryd! Nachdem du uns so sehr geholfen hast!
»Mist, der alte Sack ist tot«, sagte jemand zu allem Überfluss.
»Das war kein alter Sack«, fuhr Brynd ihn an, »sondern ein Ermittler, der dem Kaiserreich treu gedient hat. Sorgt dafür, dass er einen anständigen Scheiterhaufen bekommt, und befreit seine Seele mit Würde – ist das klar?«
Mit schrillem Kreischen tauchte die Spinne plötzlich wieder auf, kam mit unglaublichem Tempo durch den Schnee, drängte alle vom Ermittler weg, stupste den Toten mit einem Bein an und versuchte, die Blutungen mit Sekret zu stillen. Wie seltsam , dachte Brynd, dabei hat Jeryd sie doch hinter Schloss und Riegel gebracht .
Smoke kehrte zurück und bestätigte mit einem schlichten Nicken, dass er die restlichen Rothäute erledigt hatte.
»Gute Arbeit«, brummte Brynd.
Die Soldaten trotteten zum Lagerhaus zurück, und Brynd hielt die ganze Zeit nach neuen Ungelegenheiten Ausschau. Mit erhobenem Schild betraten sie das dunkle Gebäude.
Die Mauern auf Türen und auf andere Möglichkeiten absuchen, rein- und rauszukommen , sagte Brynd sich. Die Flure konnte er so mühelos erkennen, wie die klamme Kälte zu spüren und der Verwesungsgestank zu riechen war. Doch er vermochte nicht auszumachen, wo die Geiseln gefangen gehalten wurden.
Die Nachtgardisten arbeiteten sich eine Weile voran, doch was sie hörten, waren nur ihre Schritte, ihr Atmen. Sie gelangten in einen Saal, und nach kurzem Überlegen beschloss Brynd, einem anderen Korridor zu folgen. Lupus hielt seinen Bogen schussbereit, und Smoke und Tiendi hatten Armbrust und Säbel gezückt.
Brynd streckte den Arm nach hinten, damit die anderen stehen blieben. Das Licht weiter vorn änderte sich deutlich.
War das ein Flackern?
Am Ende des Flurs stützte sich ein rothäutiger Rumel auf sein Schwert und sprach in fremdartigen Lauten mit jemandem, der nicht zu sehen war. Brynd bedeutete Tiendi und Smoke, den Rumel zu töten, und gab Lupus Handzeichen, auf den Mann zu feuern, der hinter dem Rumel auftauchen würde.
Klick, klick, wumm!
Die Feinde stürzten übereinander. Brynd hetzte zu ihnen und sah sich eilig um. Falls ihr Bewusstsein mit dem anderer Rumel verbunden war, würden rasch weitere Feinde auftauchen. Er zerrte die Toten in eine dunkle Ecke, und Lupus nahm seinen Pfeil wieder an sich.
Sie mussten den Gefangenen inzwischen recht nah sein.
Mit äußerster Vorsicht näherten sie sich einer halb geschlossenen Tür. Den Rücken an der Wand, stupste Brynd sie mit der Schwertspitze auf. Dahinter befanden sich drei Soldaten, und zwar Rothäute,
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