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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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juristische Spitzfindigkeiten streiten, kann man nur auf sein gesundes Rechtsempfinden zurückgreifen.«
    »In der Inquisition hier geht es recht entspannt zu«, stellte Nanzi fest, »zu entspannt. Manches Verbrechen bleibt ungeklärt, einige werden nicht einmal untersucht. Aufgrund der Winterstarre beschäftigen wir uns inzwischen vor allem mit Verwaltungsproblemen. Viele Ermittlungen wurden allenfalls begonnen. Die Rumel, die hier arbeiten, interessieren sich einfach nicht mehr dafür. Angesichts des heraufziehenden Krieges musste über viele Verbrechen einfach hinweggesehen werden. Keiner spricht mehr über Einbrüche, Vergewaltigungen werden nicht mehr verfolgt – vor allem Frauen haben es, wie ich finde, in der hiesigen Kultur schwer – , aber von einigen Stämmen hört man noch Schlimmeres. Angesichts dieser schwierigen Umstände tue ich, was ich kann. Und dann sind da all die Vermissten … «
    »Ständig verschwinden Leute«, erwiderte Jeryd. »Ein guter Ermittler weiß das. Er muss mit der Untersuchung bei denen beginnen, die sich an ihn gewandt haben, denn wenn Menschen partout verschwinden wollen, schaffen sie das auch. Allzu schwer ist es nicht, sich auf Nimmerwiedersehen davonzumachen. Fragt man die, die jemanden vermisst gemeldet haben, merkt man rasch, ob man seine Zeit vergeudet. Und Zeitvergeudung kann sich ein guter Ermittler nicht leisten.«
    »So wenig wie eine gute Ermittler in .«
    Jeryd war kurz verblüfft und knurrte dann: »Stimmt.«
    »Na ja«, fuhr Nanzi fort, »und deswegen war ich so gespannt, als ich hörte, dass ein Ermittler aus Villjamur zu uns stößt. Ich hoffe, von dem zu lernen, was Ihr in der Hauptstadt an Erfahrungen gemacht habt, aber ich begreife nicht, warum Ihr einen so angesehenen Posten verlassen habt und hierher gekommen seid.«
    »Manchmal hat man keine Wahl, Nanzi, weil die Dinge für einen entschieden werden.« Und nur in diesem Saftladen hat man mich eingestellt, weil hier mit den Gesetzen des Reichs so lässig umgegangen wird .
    Auf den schnurgeraden Straßen zu den Kasernen blieb Nanzi bisweilen stehen, um Jeryd einem Händler oder Tavernenwirt vorzustellen. Er wusste das zu schätzen, da ihm daran lag, für die Einheimischen zu einer vertrauten Gestalt zu werden, und schlug einen freundlichen Ton gegenüber den Leuten an, die sich wiederum bereitwillig auf einen Plausch einließen. Die Eigentümerin eines Textilgeschäfts bot ihm sogar nervös ein Bestechungsgeld an, als wäre er Mitglied einer Bande, die sich auf das Eintreiben von Schutzgeldern verlegt hatte. Nanzi hatte angedeutet, solche Schwindeleien kämen vor, aber war selbst die Inquisition darin verwickelt?
    Das letzte Stück Weg beschenkte sie dort, wo die Stadt an Meer und Himmel grenzte, mit einem prächtigen Blick auf zahllose Grautöne. Eisige Winde, die an den Klippen zuseiten des Hafens zusätzlich Fahrt aufnahmen, warfen sich mit aller Gewalt gegen die Zitadelle. Jeryd musste seinen neuen Hut mit der Hand auf den Kopf drücken. Nanzi führte ihn die letzte Treppe zu der gewaltigen, aber schon recht baufälligen Zitadelle hinauf, die unmittelbar vor der Stadt lag, dieser als Festung und Residenz diente und aufs Meer hinaussah. Er konnte kaum glauben, wie massig der zwanzig Stockwerke hohe Bau war. Man hatte Gestein in vielen verschiedenen Farbtönen verbaut – von gesprenkeltem Granit bis zu weichem Sandstein. Trotz der hoch aufragenden, mit ungemein vielen Zinnen besetzten Fassaden gaben der sanfte Schleier des Nieselregens und ein leichter Nebel der Zitadelle eine ätherische, nahezu jenseitige Anmutung. Über mehrere breite Treppen mit flachen Stufen, die zwischen schmalen, regelmäßig angeordneten und von Laternen erhellten Fenstern verliefen, gelangte man in die Anlage. Angesichts dieser Trutzburg stellte sich der Wunsch, in ihr Inneres zu gelangen, sofort ein. Lutto, der Bürgermeister von Villiren, wohnte hier genau wie die Nachtgarde, die ihr Hauptquartier darin eingerichtet hatte. Und täglich kamen weitere Truppen hinzu, wurden aber in niedrigeren Stockwerken einquartiert; die meisten Soldaten kampierten freilich noch immer in Lagern südlich der Stadt.
    Das war wirklich beeindruckend: ein Zimmer, dessen Wände, Decke und Fußboden vollständig mit Obsidian verkleidet waren. Dieses vulkanische, hier einmal rötlich getönte Gesteinsglas zog sich als Ornamentfries von erstaunlicher kunsthandwerklicher Schönheit auch durch ein paar große Säle. Sicher, einige Zimmer und Flure, die er

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