Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
fest. »Ich hatte schon gerätselt, wie du es schaffst, noch immer so schön und gebräunt auszusehen.«
Sie lachte und umarmte ihn erneut in dem Wissen, nicht entdeckt werden zu können. Sie knieten sich ins feuchte Gras und küssten sich leidenschaftlich. Das Licht der sengenden Sonne wärmte Beamis Rücken, und all ihre Probleme waren weit weg. Das war pure Wirklichkeitsflucht, eine Fantasie, durch die sie ihrem Schuldgefühl ein Schnippchen schlagen konnte.
Sie wich den kalten Realitäten aus, die in Villiren auf sie warteten, und wollte nicht an Zukunft oder Vergangenheit denken. Als sie sich gegenseitig auszogen, wollte sie nur seine Haut spüren. Schon lag ihre Kleidung neben ihnen, und er bemerkte das silberne Stammeshalsband, das sie noch immer trug, nachdem er es ihr vor vielen Jahren umgelegt hatte. Er küsste erst den Schmuck, dann ihr Schlüsselbein und ihre Brust. Vertraut glitt er über ihre Haut wie ein jagender Wolf. Sie ließ sich ins Gras drücken, ließ ihn ihre Beine behutsam spreizen. In der fremden Hitze dieser verborgenen Welt flohen sie in die Wiederentdeckung ihrer Körper.
Später zeigte sie ihm mehr von ihrer Welt, und ihr war klar, dass darin etwas Symbolisches lag. Doch es war nicht so leicht, ihn wieder in ihr Leben zu lassen.
Liebte sie Malum noch? Das war keine einfache Frage. Sie empfand Zuneigung für ihn, war aber nicht mehr gern mit ihm zusammen, und ganz gewiss mochte sie seine Wutanfälle nicht, während derer er fast zu einem Ungeheuer wurde. Wann fragte er sie überhaupt noch, ob ihre Arbeit Fortschritte machte? Das letzte Mal wahrscheinlich bei ihrem Gespräch über Golems; doch als sie bekannt hatte, in diesem Bereich kenne sie sich nicht aus, hatte er jedes Interesse verloren. Die Zeit hier mit Lupus wog Monate, Jahre von Malums leerem Geschwätz auf, das an die Stelle ihrer Gespräche getreten war. Wie hatten Malum und sie sich so auseinandergelebt? Wann hatte er aufgehört, ihre emotionalen Bedürfnisse auch nur im Ansatz zu befriedigen?
Beami und Lupus sprachen über die Kluft, die sich in ihrem gegenseitigen Verständnis aufgetan hatte, über die Jahre ohne gemeinsame Bekannte, über die langsam aufgezogene Eiszeit, die den Boreal-Archipel nun fest im Griff hatte und ihr und aller Leben änderte. Ihr vordringlicher Eindruck war, das anrückende Eis habe eine Art Naherwartung großer Dinge geweckt. Womöglich hatte sie das im Hinterkopf gehabt, als sie sich Lupus aufs Neue öffnete.
Zwar fürchtete sie vage, Malum werde sie verletzen, wenn er herausbekäme, was vorging, doch solange sie sich mit Lupus in dieser Anderswelt aufhielt, waren sie recht sicher. Auch wusste sie, dass bei ihrer Rückkehr in den Boreal-Archipel nicht eine Sekunde vergangen wäre.
Nun, da sie Teil der Landschaft waren, hatte die etwas schmerzhaft Vollkommenes. Das von Gras, Wasser und Bäumen reflektierte Licht verlieh der Umgebung neue Strukturen, gab ihr etwas Durchgeistigtes. Grotesk anmutende Geschöpfe kamen vorbei – vierbeinige Seltsamkeiten mit rautenförmigem Rückgrat sowie faustgroße rosa Insekten, die unregelmäßige Flugbewegungen vollführten.
Ab und an glitt ein Garuda knapp überm Boden dahin, und sein Flügelschlag ließ die Riedgräser rauschen. Beami hatte sich ihnen mündlich oder gestisch mitteilen wollen, doch sie hatten nicht reagiert – womöglich verstanden sie ihre Jamur-Zeichen nicht oder ignorierten sie schlicht und stiegen teilnahmslos in die Luft.
Ringsum gab es Reste einer unbekannten Zivilisation: gedrungene, aber kunstvolle Bauten, ausgeführt in ungewöhnlichen Formen und Materialien, sowie stark verwitterte Grabmäler. Wein und Flechten hatten längst begonnen, all dies zu überwuchern und die steinernen Zeugnisse einer alten Kultur zu beseitigen. Für einige Zeit blieben Beami und Lupus auf farbigen, vielfach von Gras überwucherten Fliesen stehen und spähten durch ein Bogenfenster auf das Panorama dahinter.
Das tiefe Empfinden einer längst vergangenen Zeit war seltsam demütigend.
Beami erzählte ihrem Geliebten, sie habe bestimmten Orten dort einfache Namen gegeben, um sich so in die verborgene Welt, die sie seit etwa einem Jahr besuche, einzugewöhnen. Lupus wollte etwas nach sich benennen und stichelte so lange, bis sie bereit war, eine hässliche Fischart auf seinen Namen umzutaufen.
Ihre Gesprächspausen waren nicht unbehaglich, ganz im Gegenteil: Zärtliche Gesten und suchende Blicke verrieten so manches. Sie saßen im Schatten einer
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