Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
vermisst«, sagte er. »Und dein Parfüm. Das hab ich seit Jahren nicht gerochen.«
In Lupus’ großen Augen lag ungemein viel Mitgefühl. Er war der Einzige, der sie mit einem Blick hatte zum Schmelzen bringen können. Jetzt ergriff er ihre Hände. »Ich habe nie aufgehört, an dich zu denken.«
Vielleicht lag es an der Eiszeit und dem aufziehenden Krieg, dass sie nur in der Gegenwart leben wollte, doch sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Seine Berührung brachte ein Heer an Erinnerungen zurück, und sie entsann sich der Sorgfalt, mit der er sich ihrer Lust widmete, sie dort küsste, wo sie es am liebsten hatte, und ihren Körper ebenso zu ihrer Lust erforschte wie zu seiner, sodass ihre Zusammenkünfte stets ein wechselseitiges Vergnügen gewesen waren.
Es schien, als könnten sie weitermachen, wo sie Jahre zuvor aufgehört hatten, und sie wehrte sich nicht, als er ihre Kleidung öffnete und zuerst ihr Umhang zu Boden fiel. Sie überließ sich ihrer Erregung, wurde zum willenlosen Opfer ihrer Begierden. Seine Hände glitten an ihre Flanken. Zuerst griff sie noch nach seinen Handgelenken, um sie wegzuschieben, merkte dann aber, dass sie sie festhielt.
»Lass uns woandershin gehen«, schlug sie vor.
»Warum?«
»Ich hab Angst, dass jemand zurückkehrt.« Ihr Auskommen stand auf dem Spiel, ihr Leben, ihr Zuhause, ihre Ehe – ihre ganze Welt.
Unterm Schreibtisch lag das glänzende Heimr -Relikt. Sie erweiterte es zu einem kniehohen Dreifuß, stellte es auf den Boden, veränderte eine Skala auf nur ihr bekanntem Wege, da sie um die Empfindlichkeit des Geräts wusste, und drehte den winzigen Ball an der Spitze.
»Komm her!«, wies sie ihn an.
Sie nahm seine Hand, berührte den Ball erneut und spürte, wie sich ihre Haut …
… d e e e e h n t e, kribbelte und wieder wurde wie zuvor …
… und ein Purpurschleier glitzerte vor beider Augen, noch ehe sie einen Schritt auf die Wiese taten.
Als sie sich ihm zuwandte, hatte Lupus die Hand an die Brauen gelegt, um sich vor der kräftigen Sonne zu schützen. Sein Haar schimmerte golden. Sie schienen in einen ewigen Sommernachmittag getreten zu sein. Hitze flimmerte ringsum.
»Was, zum Henker … ?« Wie vor den Kopf geschlagen, schritt er rasch einen kleinen Kreis ab und musterte die Gegend und den Horizont, wie sie es beim ersten Mal getan hatte. »Wo, zum Henker … ?«
Sie befanden sich am Grund eines flachen Tals. Wiesen senkten sich sanft zu einem Fluss, links standen Laubbäume, und ein Falke krächzte in der Luft. Orchideen verliehen dem Gras Farbe, und Insekten schwirrten von Blüte zu Blüte. Riedgräser wisperten, und im Schatten der Eichen und Eschen drängte sich Farn. Beißender Geruch stieg vom Wasser und aus der feucht wuchernden Pflanzenwelt auf – wie anders war es hier als auf Y’iren! Und es war so heiß, wie sie es in Villiren nie erlebt hatte. Azurblau war der Himmel, an dem eine gelbe Sonne stand.
Sie hatte sich dies ausgemalt, aber nie recht geglaubt, ihn wirklich hierher bringen zu können, an ihren geheimen Ort.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte Lupus und sah auf den Dreifuß, als könnte der es ihm erklären. Erneut ging er im Kreis herum und nahm die Landschaft mit ihren sanften Hügeln in sich auf. »Wo sind wir?«
Sie erklärte ihm, sie seien nicht in der normalen Zeit, womöglich nicht mal im Boreal-Archipel. Unzählige Male war sie allein hierhergekommen, um die Gegend ein paar Stunden lang zu erkunden, Zeichnungen und Notizen anzufertigen und eine Landkarte zu zeichnen, ohne bisher je einem Menschen oder Rumel begegnet zu sein. Es gab nur eine kleine Garuda-Siedlung an der wenige Stunden entfernten Südküste, aber die Vogelmenschen waren nicht besonders kontaktfreudig.
Niemand sonst wusste von dieser geheimen Welt, nicht einmal Malum. Dies war ihre verborgene Zone.
Lupus schien ihre Fähigkeit, einen Weg durchs Nichts zu schlagen, zu bewundern. Sie dagegen hielt sich nicht für allzu begabt, sondern sah darin nur das Ergebnis engagierter Untersuchungen, die darauf zielten, Relikte zu verändern, die frühere Gattungen vor langer Zeit erschaffen hatten. Das war so wenig ihre Leistung wie alles andere, was mit diesen Geräten zusammenhing – und genau das verabscheute sie an den anderen Mitgliedern der Orden: ihre Überheblichkeit, die aus der Anmaßung rührte, sich mit Relikten auszukennen. Dabei rissen sie diese Geräte nur an sich, und zwar seit Jahrtausenden.
»Von hier stammt also dein Teint«, stellte Lupus
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