Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Handbewegung auf fortzufahren.
»Es hat geblitzt, und wir dachten, es wären Kultisten – und dann wurde Deeb von dreien aus dem Grab gehoben, die bereits drin waren.«
»Wie? Von Leichen?«
Beide Jungen nickten.
»Und was habt ihr gemacht?«
»Wir haben geschrien, konnten uns aber nicht rühren. Zwischen uns und ihm schien eine Art Mauer zu sein. Wir haben versucht, zu ihm zu gelangen, Ehrenwort. Wir haben Steine über die Mauer geworfen, aber nur einige haben es in die Nähe der Wesen geschafft. Selbst mit meiner kleinen Armbrust konnte ich nicht durchdringen.«
Malum nickte. »Und dann?«
»Deeb sah tot aus. Er hätte nicht in der Lage sein sollen, sich zu bewegen. Sein Genick war gebrochen, der Kopf hing komisch herab, und die Augen waren zu. Die Wesen neben ihm waren bereits verwest und sahen aus wie geschmolzen. Und ihre Haut löste sich ab. Die drei kamen auf uns zu, und wir sind gerannt, ohne anzuhalten. Als wir vom Friedhof stürmten, haben die zwei Männer uns nachgelacht.«
Alle warteten darauf, was Malum nun sagen würde, um die qualvolle Stille zu füllen, doch keiner blickte ihn an.
Er hatte von diesen Dingen gehört, sie aber für Gerüchte gehalten, für fantastische Geschichten, um andere zu ängstigen. Erst vor Kurzem allerdings sollten auch auf Jokull Tote durch die Tundra marschiert sein, doch das war zu weit entfernt, als dass es ihm Sorgen bereitet hätte.
Da er wusste, worum es sich vermutlich gehandelt hatte, sagte er schließlich: »Das waren Totenbeschwörer aus den Reihen der Orden. So klingt es jedenfalls. Sie waren auf dem Friedhof, haben Tote erweckt und einen von unserer Gang getötet.«
»Was sollen wir tun?«, fragte der schmächtige Junge. Er wirkte in sich gekehrt und hielt den Kopf zwischen den Schultern. »Nachsehen, ob sie zurückkehren?«
Malum stand auf und streckte die Beine. »Als Bloods sind wir bekanntlich eine Familie. Wenn es einen von uns erwischt, erwischt es auch mich. Wir achten und unterstützen einander. Aber Totenbeschwörer, tja … die sind doch was ganz anderes als das, womit wir sonst fertig werden müssen.«
Keiner von ihnen war gerüstet, gegen sie anzutreten. Malum hatte mit einigen Kultisten eine Abmachung, die den Bloods das Leben im Gegenzug für ein wenig Unterstützung leichter machen sollte, doch er wollte seine Verbündeten nicht im Kampf gegen eine Macht aufopfern, die seine Leute nicht zu erfassen vermochten. Totenbeschwörer waren sogar in der seltsamen und furchtbaren Welt der Kultisten selten. Er würde zunächst nichts tun, diese Jungs aber befördern, weil sie wenigstens versucht hatten, einen Totenbeschwörer zu vertreiben, um ihrem bereits toten Freund zu helfen.
KAPITEL 11
L ady Rika, mögt Ihr ein kurzes Gebet sprechen?«, murmelte Randur. »Vielleicht hört es dann auf zu schneien.«
Er blickte auf die baumlose Ebene hinaus und sah einen vereinzelten Sonnenstrahl, sonst aber nur Wolken, die die Farbe eines rostigen Schwertes angenommen hatten, also kaum weniger trostlos wirkten als die Schneewüste, durch die sie schon so lange reisten. Pterodetten umkreisten Seeschwalben, die Pterodetten umkreisten – in dieser Öde gab es keinen Ort, sich zu verstecken.
»Du klingst«, erwiderte Rika, »als würdest du dich über mich lustig machen, Randur.« Ihr schwarzer Umhang flatterte im Wind und ließ ein kunstvolles Medaillon sehen, das an ihrem Gewand steckte – eine Erinnerung an den Reichtum, den sie und ihre Schwester einst gewöhnt waren.
»Nur ein wenig, um ehrlich zu sein«, gab Randur zurück und erntete dafür von Denlin ein schiefes Lächeln.
Sie hatten sich wegen des stetig fallenden Schnees in den Schutz der Veranda eines alten Farmhauses begeben, wo er sich auf sein Schwert stützte. Das Gebäude war seit Jahren unbewohnt, aber immerhin ein Ort . Psychologisch betrachtet, waren solche Punkte unentbehrliche Zufluchtsstätten auf der mentalen Landkarte. Dreißig Tage waren sie nun unterwegs, die meiste Zeit in eisiger Nässe. Dreißig Tage auf der Flucht aus Villjamur.
Sie waren Flüchtlinge, nichts weniger. Er hatte diese Mädchen vor dem sicheren Tod bewahrt und so ein ganzes Reich gegen sich aufgebracht. Zu sagen, er fühlte sich seither verfolgt, wäre untertrieben gewesen. In einem uralten Boot, das in der kabbeligen See geschwankt und gewackelt hatte, waren sie Jokulls Küste entlang nach Norden gesegelt, Gischt in der Luft und nur den öden Himmel über sich. Bei Kullrún hatten sie Treibeis umfahren
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