Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
konnten sich stets nur mit jeweils einer Sache auseinandersetzen, und da die Gewerkschaftsangelegenheit nun erledigt war und Bargeld in ihren Taschen klimperte, hatten sie Zeit genug, sich auf Dinge persönlicherer Natur zu konzentrieren.
»Und wer würde uns das schon glauben?«, fuhr er fort. »Es wäre nur sein Wort gegen das unsere. Nein, ich werde den Albino direkt darauf ansprechen – dann sehen wir, was er zu sagen hat. Er soll beweisen, dass er ein richtiger Mann ist, keiner von diesen … « Malum schüttelte den Kopf. »Falls er glaubt, ich würde die Gangs nun an Bord holen, hat er sich geschnitten. Wenn seine Armee die eigenen dämlichen Kriege nicht führen kann, gut. Wir nehmen einfach die Fluchttunnel – genau wie alle anderen.«
»Wir sollten ihn fertigmachen«, schlug Duka vor. »Ihn totprügeln oder so. Schließlich ist es krank, was er treibt, oder?«
Malum bestätigte erneut, dass auch er das so sah. Er war empört, dass so was unter ranghohen Offizieren möglich war. Schließlich gehörte es sich für Männer doch wohl nicht, ihr Glied anderen Männern reinzuschieben. Die Jorsalir-Kirche war ihm ziemlich egal, doch sie hatte einige Gebote aufgestellt, die befolgenswert waren. Vielleicht sollte er dem Kommandeur wirklich eine Lektion erteilen, um ihm zu zeigen, was ein echter Mann ist. »Überlasst das mir!«
In diesem Moment durchbrach etwas die Wasseroberfläche und glitt mit erstaunlicher Anmut auf den Pier. Ein zweites Wesen folgte, dann ein drittes. Schlank und mit dunklem Teint watschelten die angekommenen Gestalten mit anfangs beinahe unmöglich anmutenden Bewegungen am Kai entlang.
»Die Meerleute sind wieder da«, sagte Malum.
»Die machen mich noch wahnsinnig«, knurrte Duka.
Weitere Gestalten tauchten auf, und Kisten wurden auf den Pier gehievt. Ein Meermann kam auf Malum zu. Der schritt ihm entgegen und grüßte: »’n Abend!«
Über den mächtigen Muskeln des Meermanns spannte blaue Haut, links und rechts der Brust saßen Kiemen, zwischen den Zehen hatte er Schwimmhäute, und sein Haar ließ eher an See- oder Blasentang als an einen Säuger denken. Er ragte vor Malum auf, und Salzwasser tropfte aufs Pflaster. Es handelte sich um Mischwesen, die die Kultisten vor Jahrhunderten geschaffen hatten oder die – einer anderen Überlieferung zufolge – aus einer alten Kreuzung hervorgegangen waren. Sie lebten vor allem im Meer und verbrachten die Nacht mitunter an einsamen Küsten in Strandhütten oder lauerten in geschützten Höhlen.
Doch für Malum stürzten sie sich regelmäßig in pechschwarze Tiefen, um nach Meeresleuchten zu suchen. Vor langer Zeit hatte er mit ihnen vereinbart, dass sie nach diesen biologischen Lichtquellen fahndeten und er dafür ihre Küstensiedlungen schützte und sie mit jenen Landleckerbissen versorgte, nach denen sie süchtig waren. Sie konnten sie selbst kaum suchen, da sie sich dafür nicht lange genug außerhalb des Wassers aufzuhalten vermochten.
»Seid gegrüßt, Händler!« Als der Meermann endlich antwortete, klang seine Stimme unbeholfen und angespannt, im Grundsatz aber menschlich. Er gaffte Malum wie ein Kuriosum an, musterte den unteren Rand seiner Maske und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu interpretieren.
»Was habt Ihr heute Abend für mich?«, fragte Malum.
»Einen guten Fang. Wollt Ihr ihn sehen?«
Malum folgte ihm zu den anderen Meerleuten. Eine kleine Meerfrau hatte mit den Fingernägeln schon eine Kiste geöffnet, aus der sanftes Leuchten stieg. Im Salzwasser schwammen schemenhaft sichtbare Tiefseewesen und gaben Helligkeit ab. Die übrigen Meerleute drängten sich um ihn, und er fühlte sich nach all den Jahren noch immer unbehaglich, weil sie ihm so fremd erschienen.
»Ihr habt recht, die sind gut«, gab er zu, »und dürften Coumbys Gesellschaft für eine Weile bei Laune halten.« Diese Lebewesen waren in den wohlhabenderen Stadtvierteln noch immer sehr begehrt, obwohl die Leute seit Beginn der Eiszeit Feuer aufgrund seiner Wärme als Lichtquelle bevorzugten: Meeresleuchten zu besitzen, galt aber noch immer als Zeichen von Reichtum. Es war ein einträgliches Geschäft, bei dem Malum die Kaufleute belieferte, da die es nicht wagten, selbst mit den Meerwesen Geschäfte zu machen. Das Meeresleuchten ließ sich an die bekanntesten Straßenhändler und – bei besonders schönem Material – sogar an die Luxusgeschäfte in der Altstadt weiterverkaufen.
Mit einem Pfiff gab er JC und Duka Zeichen, eine Kiste mit
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