Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft
irgendwelche Häscher von denen oder solche aus dem Sankt Äggie entführt haben. Bestimmt entdecke ich wichtige Hinweise.“
„Von denen“? Es war zum Verrücktwerden, dachte Soren. Wer waren „die“? Und was bedeutete das „schön wär’s“ des sterbenden Kauzes?
„Meinetwegen“, gab Boron nach. „Da das nun geregelt ist, wollen wir die Krüge mit Milchbeerenmet auf unseren Bruder, den Streifenkauz, erheben. Der Verstorbene hatte keinen Namen, er wählte ein Leben fernab unserer Gemeinschaft. Er hat sich uns nie angeschlossen, hat nie in unserem wunderschönen Baum gewohnt, aber er diente unserer Sache so tapfer und hochherzig wie nur irgendein Mitglied unseres Ritterbundes. Gedenkt mit mir dieses edelmütigen Vertreters des Eulengeschlechts, der dafür sorgte, dass unzählige Eulen und ihre Kinder in Ambala, Kuneer und Tyto in ihren Baumhöhlen ungestört blieben. Trinken wir auf einen hervorragenden Lauschgleiter, einen Meister der Schmiedekunst, einen mutigen, unerschrockenen Kämpfer gegen die Mächte des Bösen, einen von Glaux Gesegneten!“
Damit löste sich die Versammlung auf, man hörte lärmendes Flügelschlagen. Die vier Freunde blickten einander betroffen an.
„Und wir waren diejenigen, die den Streifenkauz gefunden habe n …“, sagte Digger.
„Das ist es doch gerade!“, entgegnete Gylfie. „Was machen wir denn jetzt? Sollen wir es Boron und Barran erzählen?“
„Dann kommt aber raus, dass wir gelauscht haben“, wandte Morgengrau ein.
„Stimmt.“
Soren begann stockend: „Als o … ich bin dafür, dass wir nichts sagen, jedenfalls jetzt noch nicht. Sie müssen auf jeden Fall einen Spähtrupp in die Gegend schicken und einen neuen Lauschgleiter auswählen. Dass wir von dem Tod des Streifenkauzes wissen, ändert nichts daran.“
„Das sehe ich genauso“, sagte Gylfie. „Außerde m … wenn Boron hört, dass wir gelauscht habe n … dann reißt er uns den Kopf ab!“
„Allerdings“, pflichtete ihr Morgengrau bei.
Die vier kehrten in ihre Höhle zurück und schliefen bis zum ersten Dunkel.
Die Wetterbrigade
Etwas Nasses klatschte Soren ins Gesicht und riss ihn unsanft aus dem Schlaf. Draußen vor der Höhle heulte ein Sturm.
„Großer Glaux, ist das ein Wetter“, brummelte Morgengrau.
„Und kalt ist es!“ Die zierliche Gylfie schlotterte.
„Komm unter meinen Flügel!“ Morgengrau spreizte eine große Schwinge und fegte dabei versehentlich Digger von seinem Lager.
„Pass doch auf!“, schimpfte der Höhlenkauz.
„Gylfie friert.“
„Hoffentlich kriegen wir gleich was Warmes“, warf die Elfenkäuzin schnabelklappernd ein.
„Das hoffe ich auch“, erwiderte Morgengrau.
Die Eulen schlüpften aus ihrer Schlafhöhle auf einen bedrohlich schwankenden Ast hinaus und flogen in den Speisesaal. Dort warteten schon warmer Eichelbrei und dampfender Milchbeerentee auf sie, außerdem gab es gegrillte Baumschnecken und Mäuseschmorbraten. Doch als sich Soren zu Mr s Plithiver durchdrängeln wollte, rief jemand gebieterisch: „Hier rüber, Kleiner! Wir Wetterflieger fressen unser Fleisch roh und mit Fell dran.“ Es war Ezylryb.
„Wie jetzt?“
„Ja, weißt du denn noch nicht Bescheid?“ Auf einmal stand Otulissa neben ihm.
„Was denn?“ Eigentlich wollte Soren die Antwort gar nicht hören.
„Dass wir heute Nacht unseren ersten Wetterflug unternehmen.“
„Quatsch. Doch nicht bei diesem Sturm.“
„Doch. Ich finde das auch unerhört. Ich werde mich bei Strix Struma beschweren, wenn es sein muss sogar bei Barran. Das können die nicht mit uns mache n – das ist doch lebensgefährlich!“
„Reg dich ab, Schätzchen. Setz dich auf deinen Bürzel und friss deine Maus, und zwar mit Fell. Das gilt übrigens für euch alle.“ Die Ermahnung kam von der alten Oktavia, einer beleibten Schlange, die der Wetterbrigade schon lange Jahre als Tisch diente. Die Schuppen der anderen Schlangen schillerten in allen Schattierungen von Rot und Rosa, Oktavias Schuppen dagegen waren türkisfarben. Soren ging zu dem klugen kleinen Sägekauz Martin, der damals im Unterricht gefragt hatte, warum man immerzu neue Glut brauchte. Als er saß, fiel Soren auf, dass er viel mehr Platz hatte als sonst. Er schaute sich um. Die Jungeulen um ihn herum schienen geschrumpft zu sein. Sie hatten die Federn angelegt, offenbar fürchteten sie sich vor ihrem ersten Wetterflug. Fühlt eine Eule sich wohl, ist ihr Gefieder locker und plustrig. Wird die Eule zornig, sträubt sie die Federn
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