Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
sie rümpfte die Nase über die aschegefüllten Räuchergefäße. Ich machte den Vorschlag, Wallace mit der Reinigung zu beauftragen, da er am besten wisse, welche Kräuter darin verbrannt worden seien. Er war ein erheblich fügsamerer und umgänglicherer Mann, als er mit den gesäuberten Gefäßen zurückkehrte. Ich fragte mich, ob er überhaupt ahnte, was für eine Wirkung sein Räucherwerk auf Listenreich hatte. Aber wenn er nicht dafür verantwortlich war, wer dann? Der Narr und ich wechselten mehr als einen bedeutungsvollen Blick.
Nicht nur wurde das Gemach gesäubert, sondern auch geschmückt, mit festlichen Kerzen und Kränzen, Immergrün und unbelaubten Zweigen, vergoldet und mit bemalten Nüssen behangen. Der Anblick brachte wieder Farbe in des Königs Wangen, und ich spürte Veritas’ wortlose Zustimmung. Als an jenem Abend der König wahrhaftig aus seinen Gemächern hervorkam und sich in der großen Halle von seinen Lieblingsmusikanten aufspielen ließ, betrachtete ich es als einen persönlichen Sieg.
Einige Momente gehörten natürlich auch mir allein, und es waren nicht nur meine Nächte mit Molly. So oft es sich bewerkstelligen ließ, stahl ich mich davon, um mit meinem Wolf zu laufen und zu jagen. Aufgrund unserer Verbrüderung waren wir niemals völlig voneinander getrennt, doch ein einfaches Gedankenband ersetzte nicht die tiefe Befriedigung einer gemeinsamen Jagd. Es ist schwer, die Vollständigkeit von zwei Wesen zu schildern, die wie eins sind, einem gemeinsamen Ziel untergeordnet. Bei diesen Gelegenheiten erlebten wir die wahre Erfüllung unseres Bundes. Doch selbst wenn Tage vergingen, ohne daß ich ihn sah, war er bei mir. Seine Gegenwart manifestierte sich wie ein Parfüm, das man, wenn es einem zum erstenmal in die Nase steigt, deutlich wahrnimmt, auf Dauer aber wird es zu einem Bestandteil der Luft, die man atmet. Durch Kleinigkeiten machte er sich bemerkbar. Mein Geruchssinn wurde schärfer. Wie ich vermutete, durch seine Erfahrung darin, zu lesen, was die Luft mir zutrug. Ich entwickelte ein deutlicheres Gefühl für meine Umgebung, als bewachten seine Instinkte meinen Rücken und übermittelten mir minimale Sinneseindrücke, die ich unter normalen Umständen nicht zur Kenntnis genommen hätte. Was ich aß, hatte mehr Geschmack, Düfte waren nuancenreicher. Ich bemühte mich, diese Schlußfolgerungen nicht auf mein Verlangen nach Molly auszudehnen. Zwar wußte ich, daß er auch dann bei mir war, doch wie versprochen, hielt er sich so weit im Hintergrund, daß ich von seiner Anwesenheit nichts merkte.
Einen Monat nach dem Winterfest fand ich mich in einer neuen Rolle wieder, Folge meines bereits einige Zeit zurückliegenden Gesprächs mit Veritas, als ich ihn gebeten hatte, mich von meiner Aufgabe als Assassine zu entbinden. Eines Tages wurde ich an Bord der Rurisk befohlen und bekam einen Platz am Ruder zugewiesen. Der Kapitän des Schiffes verwunderte sich laut darüber, weshalb man ihm einen Zweig schickte, wenn er einen Balken angefordert hatte. Ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Die meisten der Männer um mich herum waren vierschrötige Kerle und erfahrene Seeleute. Wenn ich mich bewähren wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit Feuereifer auf diese neue Tätigkeit zu stürzen. Wenigstens hatte ich die Genugtuung, daß ich mit meiner Unerfahrenheit nicht allein dastand. Auch wenn meine Kameraden alle bereits auf anderen Booten gedient hatten, war dieser Schiffstyp für sie ebenfalls neu.
Veritas hatte die ältesten Schiffbauer zusammenrufen müssen, um jemanden zu finden, der noch wußte, wie man ein Kriegsschiff baut. Die Rurisk war das größte der vier Boote, die Veritas beim Winterfest hatte vom Stapel laufen lassen. Ihre Linien waren von kühner Eleganz, der geringe Tiefgang ermöglichte ihr, über das ruhige Meer zu gleiten wie ein Insekt auf einem Teich oder selbst hohen Wellengang so mühelos abzureiten wie eine Möwe. Bei zweien der anderen Boote waren die Planken Stoß an Stoß an die Spanten genietet, aber die Rurisk und ihr kleineres Schwesterschiff Constance hatten einen Klinkerrumpf, mit dachziegelartig übereinandergreifenden Planken. Mastfisch hatte die Rurisk gebaut, und die Plankengänge waren mit höchster Präzision zusammengefügt. Trotzdem besaß der Rumpf die nötige Elastizität, um auch schweren Seen standzuhalten. Der Mast aus einem Kiefernstamm trug ein aus Flachs gesponnenes Segel, mit einem Licktau eingefaßt und geschmückt mit
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