Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
den einzelnen Delegaten berichten zu lassen. Nach Galens Tod und Augusts unfreiwilligem Ausscheiden schien Serene sich als Gabenmeisterin zu betrachten. In mancher Hinsicht wurde sie Galen immer ähnlicher. Nicht nur, daß sie in abweisendes Schweigen gehüllt durch die Flure und Gemächer von Bocksburg schritt, sie hatte sich auch seine Reizbarkeit und seinen verachtungsvollen Zynismus zu eigen gemacht. Das Gesinde sprach von ihr mit derselben Furcht und Abneigung, die früher Galen vorbehalten gewesen waren. Ich hörte, daß sie auch Galens Gemächer übernommen hatte. Wenn ich in der Burg war, ging ich ihr nach Möglichkeit aus dem Weg. Meinetwegen hätte Veritas sie anderswo stationieren können, doch es war nicht an mir, die Entscheidung des König-zur-Rechten in Frage zu stellen.
Justin, hochgewachsen, mager, zwei Jahre älter als ich, wurde der Rurisk als Delegat zugeteilt. Er verabscheute mich, seit wir zusammen Lehrlinge der Gabe gewesen waren und ich so spektakulär versagt hatte, und ließ keine Gelegenheit aus, mich vor den Kopf zu stoßen. Ich biß mir auf die Zunge und bemühte mich, ihm auszuweichen, was nicht ganz einfach an Bord eines Schiffes war. Es war keine angenehme Situation.
Nach langem Debattieren mit sich selbst und mit mir teilte Veritas Carrod für die Constance ein, Burl für den Turm in Guthaven und Will schickte er nach Norden, in den Roten Turm in Bearns, der einen weiten Ausblick über das Meer und auch das Landesinnere ermöglichte. Nachdem er die Figuren auf den Karten aufgestellt hatte, wurde die Fadenscheinigkeit unserer Verteidigung erschreckend deutlich. »Dabei fällt mir das alte Märchen ein von dem Bettler, der nur einen Hut hatte, um seine Blöße zu bedecken«, bemerkte ich zu Veritas. Er lächelte freudlos.
»Wenn ich meine Schiffe so schnell bewegen könnte wie er seinen Hut«, meinte er grimmig.
Zwei der Schiffe setzte Veritas als bewegliche Patrouillenboote ein. Zwei behielt er in der Hinterhand, eines davon in Bocksburg, die Rurisk, während die Hirsch in Südbay ankerte. Eine erbarmungswürdig kleine Flotte, um die langgestreckte Küste der Sechs Provinzen zu bewachen. Eine zweite Vierergruppe lag auf Kiel, doch man rechnete nicht mit ihrer baldigen Fertigstellung. Das gut abgelagerte Holz war für die ersten vier Schiffe verbraucht worden, und die Zimmerleute rieten Veritas, lieber zu warten, als grünes Holz zu verbauen. Es fiel ihm nicht leicht, doch er hörte auf sie.
Zu Frühlingsanfang war unsere Ausbildung schon recht weit fortgeschritten. Die Delegaten, vertraute Veritas mir an, hatten in etwa denselben Nutzen wie Brieftauben als Übermittler einfacher Nachrichten. Was mich anging, so sah er sich einigen Problemen gegenüber. Aus nur ihm bekannten Gründen hatte er beschlossen, nicht verlauten zu lassen, daß er mich in der Gabe ausbildete. Ich glaube, er genoß es, unbemerkt mit mir umherzugehen und das Alltagsleben von Bocksburg zu belauschen. Mir wurde allerdings zu verstehen gegeben, der Kapitän der Rurisk habe Anweisung erhalten, auf mich zu hören, falls ich auf einem plötzlichen Kurswechsel beharrte oder verkündete, wir würden sofort an einem bestimmten Ort gebraucht. Ich fürchte, er sah darin hauptsächlich Veritas’ Protektion seines Bastardneffen, doch er hielt sich an die Order.
Dann, an einem Frühlingsmorgen, fanden wir uns zu einer weiteren Übung an Bord ein. Wir sollten uns an einem nicht vereinbarten Punkt mit unserem Schwesterschiff Constance treffen. Navigation mittels der Gabe – ein Manöver, das wir bisher nicht hatten erfolgreich durchführen können. Wir hatten uns auf einen weiteren Tag ziellosen Herumirrens eingestellt, bis auf Justin, der eisern entschlossen war, diesmal die Aufgabe zu meistern. Die Arme vor der Brust verschränkt, ganz in Dunkelblau gewandet (wahrscheinlich dachte er, die Farbe und die wallende Robe verliehen ihm eine Aura des Geheimnisvollen), stand er auf der Pier und starrte in den dichten Nebel über dem Meer. Ich mußte mit einem Wasserkrug an ihm vorbei.
»Für dich, Bastard, ist es eine undurchdringliche Mauer, aber für mich ist alles klar wir ein Spiegel.«
»Wie unangenehm für dich«, sagte ich liebenswürdig und tat so, als hätte ich nicht gehört, daß er mich Bastard nannte. Ich hatte fast vergessen, wieviel Gift ein einziges Wort enthalten konnte. »Mir wäre der Nebel lieber, statt gleich morgens in dein Gesicht sehen zu müssen.«
Kindisch, aber befriedigend. Wenig später durfte
Weitere Kostenlose Bücher